Mittwoch, 5. Juni 2024

Vor 30 Jahren stimmte Österreich für den EU-Beitritt

Es ist ein Votum, das Österreichs Europapolitik auch 30 Jahre später noch prägt: Mit einer überraschenden Zwei-Drittel-Mehrheit stimmten die Österreicherinnen und Österreicher am 12. Juni 1994 für den EU-Beitritt ihres Landes. Oppositionsführer Jörg Haider (FPÖ) hatte sich mit plumper Anti-EU-Rhetorik verkalkuliert, seinem am Wahlabend kühn formulierten Anspruch auf die Vertretung des „patriotischen“ Drittels der EU-Gegner kam die FPÖ mit der Zeit aber immer näher.

Am 12. Juni 1994 erstrahlte Österreich in Blau-gelb. - Foto: © apa / Gindl/Schneider

Für die damals bereits von acht Jahren Regierungszeit zerschlissene Große Koalition war das Abstimmungsergebnis ein unerwarteter Triumph. Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) sprach von einem der „größten Erfolge, die eine Regierung überhaupt erzielen kann“. Für Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) wurden „die kühnsten Erwartungen übertroffen“. Bundespräsident Thomas Klestil freute sich, dass die Bevölkerung „diffusen Angstparolen eine deutliche Absage erteilt“ habe.

Haider musste damals einräumen, „dass das überdurchschnittlich hohe Votum auch für uns überraschend gekommen ist“. Die FPÖ verfüge nun aber über „ein Potenzial von 35 Prozent, das uns zustimmt“. Diese „patriotische Minderheit“ erwarte, dass die FPÖ ihre „Wächterfunktion gegenüber allen Handlungen der Regierung“ entsprechend verstärke.

Bei einer Beteiligung von 82,3 Prozent stimmten bei der Volksabstimmung 66,6 Prozent für den EU-Beitritt. Die höchste Zustimmung registrierte das Burgenland (74,7 Prozent), das als Ziel-1-Gebiet besonders von EU-Förderungen profitieren sollte, die niedrigste das transitgeplagte Tirol (56,7 Prozent). Strukturelle Unterschiede zwischen Stadt und Land gab es kaum, sondern eher ein Ost-West-Gefälle. So erzielten die Befürworter in der blauen Hochburg Kärnten ein überdurchschnittliches Ergebnis. Die Anzahl der Nein-Stimmen lag dort unter dem FPÖ-Landtagswahlergebnis.

Österreichs Weg in die EU

Die Volksabstimmung war die Krönung des 5 Jahre davor begonnenen österreichischen Weges in die EU. Noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte Österreich am 17. Juni 1989 den Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft beantragt. Mit anderen Mitgliedern des kleineren europäischen Freihandelsverbands EFTA wollte man sich der wirtschaftlich bedeutenderen Zwölfergemeinschaft anschließen, der Österreichs wichtigste Handelspartner Deutschland und Italien angehörten. Während die Schweiz und Norwegen nach negativen Volksabstimmungen von diesem Weg abkamen, traten Österreich, Schweden und Finnland der EU am 1. Jänner 1995 gemeinsam bei.

Hatte die SPÖ-ÖVP-Bundesregierung in den Beitrittsverhandlungen noch intensiv um Streitfragen wie den Lkw-Transitverkehr oder Agrarsubventionen gerungen, hob sie in der Referendumskampagne die Vorteile der EU-Mitgliedschaft hervor. In Erinnerung blieb etwa der von der damaligen Europastaatssekretärin Brigitte Ederer (SPÖ) versprochene „Ederer-Tausender“: Eine vierköpfige Familie sollte sich im Beitrittsjahr 1995 pro Monat 1.000 Schilling (72,67 Euro) durch niedrigere Lebensmittelpreise ersparen. Zwar belegten zahlreiche Studien die positiven wirtschaftlichen Effekte der EU-Mitgliedschaft, der niemals Realität gewordene „Ederer-Tausender“ wurde aber zum Sinnbild für unerfüllte Versprechen der EU-Befürworter vor dem Beitritt.

Die millionenschwere Informationskampagne der Regierung hatte schon im Jahr 1992 begonnen, nachdem Umfragen eine große Europaskepsis der Bevölkerung gezeigt hatten. „Es war einer der seltenen Fälle, wo Panik, die Abstimmung könne in die Hose gehen, etwas bewirkt hat“, erinnerte sich der damalige Chef der Werbeagentur DMB, Marius Jan Demner, später in einem „Kurier“-Interview. Regierungspolitikern habe er gesagt, dass er sie nicht in der Kampagne vorkommen lassen werde, „weil sie euch hassen“. Stattdessen operierte der Werbeguru mit Suggestivfragen wie „Gemeinsam oder einsam?“, ließ ein Europatelefon einrichten und hunderttausendfach eine lapidar „Das Buch“ genannte dicke Infobroschüre verteilen.

Neben den beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP warb auch das erst ein Jahr zuvor als FPÖ-Abspaltung entstandene Liberale Forum um die damalige Dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt für ein Ja, während FPÖ und Grüne für ein Nein eintraten. Die Ökopartei brachte Sorgen um Umwelt- und Sozialstandards vor, schwenkte aber nach dem klaren Volksvotum auf einen kritischen Pro-EU-Kurs um und stimmte im November 1994 dem EU-Beitrittsvertrag im Nationalrat zu. Lediglich die FPÖ-Abgeordneten folgten dem Volksvotum nicht.

FPÖ-Chef Haider hatte die zuvor jahrzehntelang europafreundlichste Partei Österreichs im Vorfeld des Beitrittsreferendums auf brachiale Anti-EU-Rhetorik getrimmt. In Erinnerung blieb etwa seine Warnung vor spanischem „Schildlausjoghurt“, dem der EU-Beitritt den Weg in österreichische Supermärkte bahnen würde. So giftete der Grüne Europasprecher Johannes Voggenhuber am Referendumsabend, dass Haider mit skurrilen Aussagen wie etwa über die Enteignung des Trinkwassers die Glaubwürdigkeit der EU-Gegner „massiv beschädigt“ habe.

Während die Grünen nach dem Referendum auf einen kritischen Pro-EU-Kurs umschwenkten und im November 1994 dem EU-Beitrittsvertrag im Nationalrat zustimmten, blieben die Freiheitlichen ihrer Anti-EU-Haltung treu. Vier Monate nach dem Beitrittsreferendum legte die FPÖ bei der Nationalratswahl im Oktober 1994 auf 22,5 Prozent zu; SPÖ und ÖVP erlitten eine historische Niederlage und hatten erstmals in der Zweiten Republik gemeinsam weniger als zwei Drittel der Stimmen. Während sich SPÖ und ÖVP seitdem immer wieder erholen konnten, blieb der europaskeptische Kurs der FPÖ eine Konstante. Wiederholt setzten die Freiheitlichen dabei auf direkte Demokratie, beginnend mit einer Volksabstimmung gegen die EU-Gemeinschaftswährung Euro im Jahr 1997.

Heute wenig Begeisterung für EU in Österreich

Von der großen EU-Begeisterung des Jahres 1994 ist in Österreich mittlerweile wenig übrig. Laut der aktuellsten Eurobarometer-Umfrage vom April haben nur die Tschechen und Franzosen ein negativeres Bild von der EU als die Österreicher.

Nur 38 Prozent der Befragten gaben an, ein sehr oder ziemlich positives Bild der EU zu haben, 27 Prozent haben ein sehr oder eher negatives Bild. Ganz anders blicken derzeit Österreichs Beitrittspartner des Jahres 1995, Schweden und Finnland, auf die EU. Jeweils die Hälfte der Befragten hat dort ein positives Bild von der EU, rund ein Zehntel ein negatives.

apa

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