Freitag, 22. September 2023

„Wir wollen nicht getötet werden!“

„Wir wollen nicht geschlagen, marginalisiert, oder getötet werden“, sagt Laura Volgger, Mitorganisatorin des Frauenmarsches, der am morgigen Samstag zum dritten Mal in der Landeshauptstadt stattfindet. „Die kollektive Stimme wächst, die Bewegung breitet sich weiter aus.“ Der Frauenmarsch startet am Bozner Gerichtsplatz, um 11 Uhr.

Die Vorbereitungen laufen: Bei einer Demowerkstatt wurden Plakate, Schilder und Poster gestaltet.

Von:
Teresa Klotzner
STOL: Warum braucht es in der heutigen Zeit einen Frauenmarsch? Scheint, als hätten Frauen schon viel erreicht...
Laura Volgger: Der Frauenmarsch setzt sich nicht nur für die Rechte von weißen Mittelklasse-Südtirolerinnen ein. Es geht auch um die Rechte von Frauen mit Beeinträchtigungen, mittellosen Frauen oder Frauen unterschiedlicher sexueller Orientierungen. Wir haben schon viel erreicht, verglichen mit vor 50 Jahren. Damals war es noch erlaubt, Frauen in der Ehe zu vergewaltigen. Aber dass wir schon alles erreicht haben, das kann man auf keinen Fall behaupten.

STOL: Frauen verdienen z. B. immer noch weniger als Männer...
Volgger: Frauen kümmern sich vor allem um den Haushalt und verrichten unbezahlte Sorgetätigkeiten. Der Staat wälzt viele Aufgaben auf die Schultern der Frauen ab. Dadurch spart er sich viel Geld – und das schon seit langer Zeit. Es gibt noch viele weitere Bereiche, in denen Frauen benachteiligt sind. Sie haben etwa weniger Sichtbarkeit in der Medienlandschaft, im Gesundheits- oder Bildungssystem.

Wir wollen eine gerechtere Gesellschaft für alle.
Laura Volgger, Aktivistin


STOL: Mit dem Frauenmarsch wollen Sie also auch die Sichtbarkeit erhöhen?
Volgger: Genau, das ist ein zentrales Ziel. Sichtbarkeit herzustellen. Zu signalisieren, dass wir nicht mehr abgewertet, schlechter bezahlt oder unterrepräsentiert werden wollen. Geschlagen, marginalisiert oder getötet. Wir wollen eine gerechtere Gesellschaft für alle.

STOL: Man hat den Eindruck, gerade in jüngster Zeit häuft sich die Gewalt gegenüber Frauen im Land...
Volgger: Dass die Gewalt jetzt zunimmt, ist ein Trugschluss. Die Gewalt war immer schon da. Sie rückt nun vermehrt ins öffentliche Bewusstsein. Auch weil mehr Leute aufstehen, sich hinter die Forderungen von feministischen Organisationen stellen. Tötungen von Frauen werden als Femizide dargestellt, und nicht mehr als Beziehungsdramen oder Ehrenmorde.

Mann kann Freunde darauf hinweisen, dass es uncool ist, Mädchen oder Frauen sexistische Dinge nachzurufen.
Laura Volgger


STOL: Was müsste sich konkret verändern?
Volgger: Das Frauenmarschnetzwerk hat gemeinsam mit anderen Organisationen akute Forderungen an die Politik formuliert, die realistisch umsetzbar sind. Dazu zählen u. a. eine Immobilie für das Frauenhaus Bozen, verpflichtender Sexualunterricht ab der Mittelschule, oder der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln. Letzteres, um all jene Frauen vor Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften zu schützen, die sie sich nicht leisten können.

STOL: Welchen Beitrag kann jeder Einzelne zu Veränderung einbringen?
Volgger: Man kann im eigenen Umfeld auf die Notwendigkeit von Forderungen aufmerksam machen. Oder feministische Organisationen unterstützen, zum Frauenmarsch kommen. Freunde darauf hinweisen, dass es uncool ist, Mädchen oder Frauen sexistische Dinge nachzurufen.

Wir wollen den öffentlichen Raum beanspruchen und stellen konkrete Forderungen an die Politik.
Laura Volgger


STOL: Unter welchem Motto steht der diesjährige Frauenmarsch?
Volgger: Es gibt kein Motto in diesem Sinne. Wir haben das Datum bewusst gewählt – einen Monat vor den Landtagswahlen. Wir wollen den öffentlichen Raum beanspruchen und stellen konkrete Forderungen an die Politik, vor allem im Hinblick auf den scharfen Wind von rechts.

STOL: Scharfer Wind von rechts?
Volgger: Rechte Parteien, die etwa Gewalt an Frauen und Mädchen politisch instrumentalisieren. Indem sie dieses Thema z. B. durch Rassismus untergraben und sich auf die Herkunft des Täters fokussieren. Gerade da laufen wir Gefahr, das wirkliche Problem auszublenden. Es entsteht die Vorstellung „Gewalttätig sind nur die anderen“.

tek

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