Montag, 6. November 2023

Israel kündigt Angriffe auf Hamas-Kämpfer in Tunneln an

Trotz Aufrufen zu einer humanitären Waffenruhe verstärkt Israel seine Angriffe auf den von der Terrororganisation Hamas beherrschten Gazastreifen. Es werde die nächste Stufe der Offensive zur geplanten Vernichtung der radikal-islamischen Hamas gestartet, kündigte Militärsprecher Richard Hecht am Montag an. Die Streitkräfte seien bereit, Hamas-Kämpfer in ihren unterirdischen Tunneln und Bunkern im nördlichen Gazastreifen anzugreifen.

Ein palästinensischer Kämpfer in einem Tunnel von Gaza (Archivbild). - Foto: © APA/AFP / SAID KHATIB

„Jetzt werden wir anfangen, uns ihnen zu nähern“, sagte Hecht. Das bedeute, dass sie oberirdisch und unterirdisch angegriffen werden würden. Der Militärsprecher äußerte sich wenige Stunden nach einer massiven Angriffswelle der israelischen Luftwaffe auf den dicht besiedelten Küstenstreifen.

In den vergangenen 24 Stunden seien rund 450 Ziele aus der Luft bombardiert worden, teilte die Armee am Montag in der Früh mit. Darunter seien Tunnel, militärische Anlagen sowie Abschussrampen für Panzerabwehrraketen der Hamas gewesen. Zudem hätten die Truppen am Boden einen militärischen Komplex übernommen.

Beim Einsatz seien „mehrere Hamas-Terroristen“ getötet worden, hieß es vom Militär. Das von der Terrororganisation Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium von Gaza berichtete von mehr als 200 Toten bei den nächtlichen Angriffen. Die Toten wurden dabei als „Märtyrer“ bezeichnet.

UNO-Organisationen fordern Feuerpause

Mehrere UNO-Organisationen forderten angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der kritischen Versorgungslage im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. „Es sind jetzt 30 Tage. Genug ist genug. Es muss jetzt enden“, teilten sie in der Nacht auf Montag mit. Dem UNO-Aufruf schlossen sich das Nothilfebüro (OCHA), das Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), das Kinderhilfswerk (UNICEF), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Welternährungsprogramm (WFP) sowie etwa die Hilfsorganisationen Care und Save the Children an.

In der Erklärung wurde der Hamas-Terrorangriff als „grauenvoll“ kritisiert. „Aber die schreckliche Tötung von noch mehr Zivilisten in Gaza ist eine Schandtat, wie auch das Kappen von Essen, Wasser, Arzneimitteln, Strom und Treibstoff für 2,2 Millionen Palästinenser.“ Einer ganzen Bevölkerung werde „Zugang zu den nötigsten Dingen für das Überleben verweigert“. Sie würden „in ihren Häusern, Notunterkünften, Krankenhäusern und Gotteshäusern bombardiert“, schrieben die Organisationen.

Israel hat sich internationalen Aufrufen für eine Waffenpause bisher verweigert. Stattdessen gab es mehrere Feuerpausen, in denen sich die Bewohner des nördlichen Gazastreifens in den Süden bewegen sollten. Auch am Montag wurde ein solches Zeitfenster genannt. Bewohner des Nordens sollen von 10 bis 14 Uhr eine Verbindungsstraße benutzen dürfen, sagte ein Armeesprecher. Wiederholten Evakuierungsaufrufen sind nach israelischen Militärangaben bereits 700.000 Bewohner des Gazastreifens gefolgt. Die Vereinten Nationen sprechen von 1,4 Millionen Binnenflüchtlingen in dem dicht besiedelten Gebiet.

Hilfsgüter über Gazastreifen abgeworfen

Die israelische Armee teilte zudem mit, dass der Abwurf von medizinischen Hilfsgütern durch ein jordanisches Flugzeug über dem Gazastreifen „in Zusammenarbeit“ mit Israel erfolgt sei. Jordaniens König Abdullah II. hatte zuvor mitgeteilt, die jordanische Luftwaffe habe in der Nacht medizinische Hilfsgüter für ein jordanisches Feldkrankenhaus im Gazastreifen abgeworfen. Jordanien werde „immer für unsere palästinensischen Brüder da sein“, erklärte Abdullah II. im Onlinedienst X, vormals Twitter. Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu sagte der libanesischen Zeitung „L'Orient le Jour“, dass Paris mit Ägypten über die Errichtung eines Feldlazaretts in der Nähe des Gazastreifens spreche. Die griechische Regierung schickte indes pharmazeutische und humanitäre Hilfsgüter per Flugzeug nach Ägypten, das diese in den Gazastreifen bringen soll.

Auch die EU kündigte eine Intensivierung ihrer humanitären Hilfe an. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Montag, die Hilfe werde um 25 Millionen Euro auf insgesamt 100 Millionen Euro erhöht. Die zusätzliche Hilfe soll humanitären Organisationen helfen, die Bevölkerung in dem Küstenstreifen mit Wasser, Medikamenten, Lebensmitteln und „anderen essenziellen Artikeln zu versorgen“, so von der Leyen am Montag in einer Rede vor der EU-Botschafterkonferenz in Brüssel.

USA verstärken Bemühungen

Aus Washington ließ US-Vizepräsidentin Kamala Harris derweilen wissen, dass sie sich einer Verstärkung der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen annehmen werde. Wie das Büro der US-Vizepräsidentin mitteilte, wird Harris am Montag in einem Telefongespräch ausländische Staats-und Regierungschefs über die Bemühungen der Biden-Regierung informieren. Der Direktor des US-Geheimdienstes CIA wird laut einem Bericht der „New York Times“ am Montag außerdem Israel besuchen. Er werde auch in andere Länder im Nahen Osten reisen, um die Situation im Gazastreifen zu diskutieren, berichtet die Zeitung unter Berufung auf US-Beamte.

Zugleich verstärkten die USA ihre Bemühungen zur militärischen Abschreckung. In einem ungewöhnlichen Schritt gab das US-Militär am Montag bekannt, dass ein atomwaffenfähiges U-Boot im Nahen Osten angekommen sei. Diese Ankündigung wurde von Israel begrüßt. US-Außenminister Antony Blinken traf am Montag im Rahmen einer Nahost-Tournee in Ankara ein, um Vermittlungsgespräche zu führen. Ein Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sich jüngst mit besonders harscher Kritik an Israel hervorgetan hat, war jedoch nicht geplant.

Jerusalem: Anschlag auf Polizisten

Während es in der Früh neuerlich Raketenangriffe vom Gazastreifen aus auf Israel gab, kam es in Jerusalem zu einem Messeranschlag auf 2 Polizisten. Der 16-jährige Angreifer sei nach der Messerattacke am Herodestor erschossen worden, teilte die israelische Polizei mit. Nach Angaben des Rettungsdiensts Magen David Adom wurde eine etwa 20-jährige Israelin in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht. Ein etwa 20-jähriger Mann sei leicht verletzt worden.

Nach Drohungen gegen israelische Siedler nahm das israelische Militär die in der Region bekannte Palästinenserin Ahed Tamimi fest. Sie werde verdächtigt, „zu Gewalttaten aufzurufen und zu terroristischen Aktivitäten zu verleiten“, teilte die Armee auf Nachfrage am Montag mit. Die junge Frau sei nach der Festnahme in der Früh zur weiteren Befragung den israelischen Sicherheitskräften überstellt worden.

„Wir warten auf euch in allen Städten des Westjordanlands, von Hebron bis Jenin - wir werden euch abschlachten und ihr werdet sagen, dass das, was Hitler euch angetan hat, ein Witz war, wir werden euer Blut trinken und eure Schädel essen, kommt schon, wir warten auf euch“, hatte sie auf Instagram geschrieben. Tamimi gilt im arabischen Raum als Symbolfigur des palästinensischen Widerstands. 2018 war die damals 16-Jährige zu acht Monaten Haft verurteilt worden, nachdem sie einem israelischen Soldaten vor laufender Kamera ins Gesicht geschlagen hatte.

UNO-Sicherheitsrat kommt zu Dringlichkeitssitzung zusammen

Wie die „Times of Israel“ berichtete, soll der UNO-Sicherheitsrat am Montag auf Betreiben der Vereinigten Arabischen Emirate und Chinas erneut zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen, um die jüngsten Entwicklungen im Krieg zwischen Israel und der Hamas zu erörtern.

Hunderte Kämpfer der im Gazastreifen herrschenden Hamas hatten am 7. Oktober Israel überfallen und in mehreren Ortschaften und bei einem Musikfestival wahllos Gräueltaten vor allem an Zivilisten verübt, darunter viele Frauen und Kinder. Nach israelischen Angaben wurden 1.400 Menschen getötet, mehr als 240 weitere wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel erklärte der Hamas daraufhin den Krieg und nahm den Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Dabei wurden nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, 10.022 Menschen getötet, unter ihnen 4.104 Kinder.

apa

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