Sonntag, 24. Dezember 2023

Bischof: „Immer schwieriger, den Laden zusammenzuhalten“

In Südtirols Kirche hat es in diesem Jahr gleich mehrfach und zu mehreren Themen so richtig gekracht. Bischof Ivo Muser sieht darin aber nicht nur ein Problem der Kirche, sondern der gesamten Gesellschaft. „Der zunehmende Individualismus ist wohl die größte Herausforderung“, sagt Bischof Muser. „Für immer mehr Menschen ist das was sie sagen und glauben, das einzig Richtige, die einzige Wahrheit.“

Bischof Ivo Muser.

Von:
Michael Eschgfäller
Weihnachten naht und trotzdem sind viele Menschen im Land unglücklich und unzufrieden. Ist das nur jammern auf hohem Niveau?
Bischof Ivo Muser: Wir leben in einem sehr reichen Land aber man sieht, dass Wohlstand allein Menschen nicht glücklicher und zufriedener macht. Darüber müssen wir nachdenken – ohne auszublenden, dass es auch bei uns Menschen gibt, die sich schwer tun, über die Runden zu kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam über den Wert von Verzicht nachdenken. Der wird in unserer Gesellschaft immer als etwas abgetan, das unsere Lebensqualität schmälert. Das Gegenteil ist der Fall.

Wenn man sich in Südtirol so umschaut, kann aber doch gerade in der Vorweihnachtszeit von Verzicht keine Rede sein ...
Muser: Genau das würde ich mir aber wünschen. Kleines Beispiel: Im Vorjahr hatten wir die längste Adventszeit, heuer die kürzeste. Wir halten das einfach nicht aus, müssen schon 10 Tage davor die Weihnachtsmärkte aufsperren. Muss das sein? Hier bräuchte es klare Entscheidungen.

... bei denen Kirche und Gesellschaft bzw. Wirtschaft aber frontal aufeinanderprallen.
Muser: Weihnachten ist zu einer Dimension geworden, die von der Kirche ausgelagert wurde. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Ich will nicht alles nur kritisieren, aber die Kirche muss ihre Botschaft in die Gesellschaft hineinsagen. Und das kann natürlich zu Konflikten führen. Dazu braucht es Mut und mehr Bereitschaft zum Konflikt.

Konflikte gab es heuer auch innerhalb der Kirche im Land. Sie haben von den katholischen Verbänden einiges einstecken müssen. Haben Sie ihre Schäfchen nicht mehr im Griff?
Muser: Mit Kritik, die so geäußert wird, dass sie einen persönlich trifft, tue ich mir schwer. Die Aussage z.B., ob Säben Privatbesitz des Bischofs sei, hat mich unglaublich gestört. Das ist so weit von meinem Denken entfernt, dass mir das schon nahe gegangen ist. Trotzdem muss der Dialog bleiben. Ich hätte mir jedenfalls nie gedacht, welch große Symbolkraft Säben für sehr viele im Land hat. Die zahlreichen Rückmeldungen, man hoffe, dass auf Säben wieder das Licht angeht, zeigt, dass die Linie die ich bzw. die Diözese mit denen von Heiligenkreuz eingeschlagen haben, nicht ganz die falsche ist.

Sollten die Patres in Säben einziehen, bleibt der Priestermangel ein Problem. Geht dem lieben Gott – salopp gesagt – das Bodenpersonal aus?
Muser: Das ist eine große Herausforderung. Und auch die Menschen merken zunehmen, dass das eine gesellschaftliche Veränderung mit sich bringt. Ich begegne immer wieder Menschen, die sich betroffen darüber zeigen, weil die Kirche bestimmte Dienste und Bereiche nicht mehr anbieten kann, gerade weil eben das Bodenpersonal fehlt. Das hat auch etwas mit Europa und dem stark zunehmenden Individualismus zu tun, der wohl größten Herausforderung für die Kirche bei uns hier. Es ja ist nicht so, dass die Menschen heute nicht mehr glauben. Aber mittlerweile ist es vielfach so: Wenn etwas nicht so läuft, wie der einzelne sich das vorstellt, dann geht er. Dadurch wird es auch für den Papst immer schwieriger, den ganzen Laden zusammenzuhalten. Dieser Individualismus ist aber nicht nur ein Problem der Kirche, sondern ein gesellschaftliches.

In Südtirol setzt man stark auf Ehrenamtliche – allein mit ihnen lassen sich diese Lücken wohl kaum füllen?
Muser: Die große Stärke sind aber schon die Freiwilligen. Es gibt überall im Land noch gute Leute, die sich nicht nur aufs Kritisieren beschränken, sondern ihren Beitrag leisten. Das ist eine ganz große Stärke. Wir müssen uns als Kirche aber eingestehen, dass wir kleiner werden. Zu sagen, in Südtirol sind alle christlich, wollen alle katholisch bleiben, wäre komplett an der Realität vorbei. Wir leben in einer ganz anderen Gesellschaft. Wir erleben derzeit einen gewaltigen Umschwung. Mir ist aber wichtig, dass wir unsere Identität nicht verlieren. Nur wenn wir uns diese bewahren, sind wir zum Dialog fähig. Wenn man sich alles wegdenkt, was Kirche im Dorf ausmacht, herrscht dort tote Hose. Und Kirche ist nach wie vor jene Veranstaltung, die Woche für Woche am meisten Menschen zusammenbringt – auch wenn es zugegebenermaßen immer weniger werden.

Bei der Diözesansynode wurde versucht, möglichst viele Menschen mitzunehmen. Viele sind vom Ergebnis enttäuscht. Verständnis dafür?
Muser: Wenn man sagt, die Diözesansynode ist nur dann wertvoll, wenn man in der Kirche 3 bis 4 Punkte verändert und alles an dem aufhängt, war dieses Vorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Synode war weit mehr. Zum Beispiel zu verstehen, wie die anderen Sprachgruppen ticken. Das wird die Welt nicht groß verändern aber es sind kleine, ganz konkrete Schritte.

Sie hatten versprochen, einige knifflige Punkte der Synode in Rom zu deponieren. Versprechen eingelöst?
Muser: Selbstverständlich! Das Synodenbuch ist bei den entsprechenden Stellen abgegeben worden. Die in Rom wissen ganz genau, worüber wir geredet haben – abgesehen davon, dass diese Dinge nicht nur bei uns sondern in sehr sehr vielen Ortskirchen Thema sind. Das ist ja auch alles Inhalt des synodalen Prozesses, der in Rom läuft.

Papst Franziskus die Segnung von unverheirateten oder homosexuellen Paaren erlaubt. Ein kleiner Schritt nach vorn oder ein enormer Kraftakt?
Muser: Die einen sprechen von einer Revolution im Vatikan, die anderen von einem ersten kleiner Schritt. Wir sehen dieses Dokument aber nur aus europäischer Sicht. In anderen Teilen der Welt sieht man die Dinge ganz anders. Für alle muss gelten, wie man mit Menschen in bestimmten Situationen umgeht.

Ein Kraftakt scheint auch die Suche nach einer neuen Landesregierung zu sein. Was sagen Sie zur aktuellen politischen Entwicklung in Südtirol?
Muser: Man merkt, dass sich die Gesellschaft verändert. Politisch gesehen waren wir noch nie in so einer Situation. Da braucht es Kompromisse aber auch Garanten, die für etwas einstehen. Das ganze hat für mich ganz viel mit einer Wertediskussion zu tun. Vielleicht hilft es ja auch, um Werte zu schärfen. Das kann man tun, um sich abzugrenzen oder klar Position zu beziehen, auszudrücken „das ist unseres, das müssen wir verteidigen, das steht auf dem Spiel“. Insofern hoffe ich, dass das gelingt und auf einen guten, werteorientierten Kompromiss. Denn Entscheidungen werden so oder so kritisiert – weil unsere Gesellschaft polarisierter geworden ist. Unsere Gesellschaft braucht Identität und Dialog.

Hat der Rechts-Ruck bei den Landtagswahlen auch mit Identität zu tun?
Muser: Ganz sicher mit der Suche danach. Auch in diesem Punkt muss unsere Gesellschaft darüber nachdenken, was da läuft. Manchen scharfen Tönen von Rechts muss man klarer und offensiver entgegentreten – nicht in einem polarisierenden sondern in einem verbindenden Denken. Oft sind wir einfach zu harmoniebedürftig. Und wir müssen die Mitte stärken. Ist die Alternative von Frau Meloni (Premier und Vorsitzende von Fratelli d’Italia, Anm. d. Red.) die Frau Schlein (Vorsitzende des PD, Anm. d. Red.)? Die Ränder werden immer schärfer aber die Mitte bricht uns immer mehr weg – weil es eben keine schnellen, einfachen Lösungen gibt.



em

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