Freitag, 10. November 2023

Schöne, schaurige neue Arbeitswelten

Arbeitskräfte und Unternehmen geraten immer stärker unter Druck, weil man mit den Erfordernissen unserer Zeit Schritt halten muss. Digitalisierung, Fachkräftemangel und Flexibilität sind bloß 3 der vielen Schlagworte, die diese Transformation beschreiben. Im Interview geht Marjaana Gunkel, Professorin für Organisation und Führung an der Freien Universität Bozen, auf dringliche Fragen ein.

Als Professorin für Organistion und Führung forscht und lehrt Marjaana Gunkel seit 2015 an der Uni Bozen. Außerdem ist sie seit rund 2 Jahren Dekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. - Foto: © Curzio Castellan

STOL: Frau Professor Gunkel, welche Tendenzen lassen sich feststellen, wenn man die Neuausrichtungen unserer Arbeitswelten betrachtet?

Marjaana Gunkel: Ganz klar feststellbar ist der Trend hin zu erhöhter Flexibilität, was die Arbeitszeiten und das Arbeitsumfeld betrifft. Bekanntermaßen wurde dieser Trend durch Corona begünstigt, das sogenannte Smart Working bzw. Home Office ist seitdem zu einem festen Modell geworden. Man hat erkannt, dass man nicht zwangsläufig im Büro sein muss, um zuverlässig die Aufgaben erledigen zu können. Und diese Entwicklung geht weiter, wie man beispielsweise an der 4-Tage-Woche erkennen kann. Einige Unternehmen gehen in diese Richtung.

STOL: Gerade derartige Vorstellungen von flexiblen Arbeitszeiten entsprechen dem Wunsch der jungen Generationen ...
Gunkel: In der Tat ist dieser Wunsch bei den Millennials und der Generation Z, welche die zwischen 1995 und 2010 geborene Menschengruppe umfasst, stark ausgeprägt. Allerdings ist auch zu sagen, dass diese Entwicklung nicht jeder gut findet. Viele Leute sagen auch: Ich möchte wissen, wann die Arbeitszeit beginnt und wann Feierabend ist und mich nach diesen Zeiten richten. Anderen dagegen macht es nichts aus, wenn sie in der Freizeit einige Dinge für die Arbeit erledigen müssen, wenn sie im Gegenzug die Kinder zum Training fahren können, um das an einem typischen Beispiel festzumachen.

STOL: Somit liegt es auf der Hand, dass Unternehmen im Kampf um die besten Arbeitskräfte mit neuartigen Modellen punkten können. Wie wirkt sich das auf die Führungs- und Organisationsstruktur in Betrieben aus?
Gunkel: In erster Linie ist Vertrauen gefragt, ich würde von einer Vertrauenskultur sprechen. Damit verbunden ist, dass man verstärkt wegkommt von Anweisungen und stattdessen mehr die Richtung vorgibt: Ergebnisse statt Präsenz. Aber, wie gesagt, es gibt nicht das eine richtige Modell, vielmehr gilt es, verschiedene Faktoren und Anforderungen zu beachten.

STOL: Sollten sich demzufolge Arbeitgeber noch genauer mit der Firmenkultur befassen, um maßgeschneiderte Lösungen anzubieten?
Gunkel: Ja, je nach Branche, nach Berufsbild und nach Lebenslage sind unterschiedliche Modelle gefragt. Für neue Mitarbeiter ist es schwierig, sich im Betrieb zu integrieren, wenn sie kaum in Präsenz arbeiten. Über die virtuellen Plattformen bekommt man viel weniger vom Arbeitsalltag mit als etwa beim Gespräch am Kaffeeautomaten. Letztlich müssen sich die Führungsetagen Gedanken machen, wie man die Zufriedenheit der Mitarbeiter und somit auch die Verbundenheit zur Firma stärken kann.

STOL: Wenn es um Führung geht, so stellt sich oft auch die Frage, ob Frauen einen anderen Führungsstil als Männer pflegen. Was ist Ihre Beobachtung?
Gunkel: Auch in dieser Hinsicht gibt es keine pauschale Antwort. Ich sage so: Es muss nicht sein, aber es kann durchaus sein, dass Frauen in Führungspositionen gewisse Dinge anders bewerten und entsprechende Entscheidungen treffen. Das kann etwa das größere Bewusstsein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein oder ein besseres Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mitarbeitern.

STOL: Die Anforderungen im Beruf nehmen angesichts der Technologiesprünge und der stetigen Arbeitsverdichtung immer mehr zu. Wie sollte man darauf am besten reagieren?
Gunkel: Es stimmt, die Uhr scheint sich immer schneller zu drehen, auch aufgrund der ständigen Erreichbarkeit, gleichzeitig wird sich der Arbeitskräftemangel weiter verschärfen. Kurz gesagt, wird es immer wichtiger sein, permanent am Ball zu bleiben und mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Es ist nicht ratsam, sich beispielsweise digitalen Prozessen zu verweigern. Man muss offen bleiben für die neuen Dinge, denn fest steht, dass wir vieles davon brauchen, um in unseren Berufen weiterzukommen. Wir müssen sicherlich länger fit in der Arbeitswelt bleiben müssen als unsere Eltern.

az

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