Samstag, 4. Mai 2024

Forza-Italia-Chef Antonio Tajani: „Europa muss geliebt werden“

Er kennt die Institution EU und die Vorgänge in Brüssel und Straßburg wie seine eigene Westentasche. Als einziger Politiker Italiens saß Antonio Tajani als Mitglied in allen 3 wichtigen europäischen Institutionen: in der Kommission, im Parlament und im Rat. Heute ist der Außenminister, Vize-Premier und Forza Italia-Vorsitzende zu Gast bei der SVP-Landesversammlung in Meran. Bereits vorab hat er STOL und den „Dolomiten“ erklärt, warum seine Partei erneut einen Pakt mit der SVP geschlossen hat, wieso die EU so fundamental wichtig ist für die Menschen in Europa – und in Südtirol –, aber auch, warum auch er selbst bei den Europawahlen im Juni als Kandidat antreten wird.

Erst vor wenigen Wochen war Außenminister und Vize-Premier Antonio Tajani in Bozen. Heute kommt der Forza Italia-Chef nach Meran und wird die SVP auf Europa einschwören. - Foto: © GROPPO


Von Barbara Varesco und Michael Eschgfäller

STOL: Herr Minister, der Pakt mit der SVP und den Kräften der Volksparteien für die Europawahlen steht. Zufrieden?
Antonio Tajani: Unsere Verständigung mit der SVP ist Teil dessen, was Sie erwähnen, nämlich eine Verbindung zwischen Forza Italia und allen Kräften in Italien, die sich auf den Popularismus beziehen. In Südtirol ist die SVP jene Partei, die zu unserer eigenen europäischen politischen Familie, der Volkspartei, gehört: Die Harmonie mit der SVP ist sehr stark und hat sich in diesen Jahren der Zusammenarbeit mit Forza Italia noch weiter verstärkt. Meine Partei ist eine Partei der Mitte, die christlich und proeuropäisch inspiriert ist. Ich glaube, dass die SVP sich in der gleichen Weise versteht.

STOL: Ist dies der richtige Weg für die Europawahlen?
Tajani: Ja, das ist eindeutig der richtige Weg, um ein wichtiges Ziel für Italien zu erreichen: Erfahrene Abgeordnete zu wählen, die helfen können, eine Institution zu leiten, die für die Zukunft unseres Landes entscheidend ist. Die Abgeordneten von Forza Italia werden mit der Rolle der SVP im Zentrum der EU-Regierung stehen, die aus den nächsten Wahlen hervorgehen wird.

Ich bin davon überzeugt, dass es bei den Europawahlen im Juni im Wahlkreis Nord-Ost 2 Kandidaten von Forza Italia nach Brüssel schaffen werden. Dieses Problem, was passiert, wenn es nur Herbert Dorfmann schafft, wird sich also gar nicht stellen.
Antonio Tajani


STOL: Forza Italia ist ja zuversichtlich, dank des Bündnisses mit der SVP im Wahlkreis Nord-Ost 2 Sitze zu erringen. Was passiert, wenn es aber doch nur bei einem Sitz bleibt und dieser an Herbert Dorfmann und die SVP geht?
Tajani: Ich bin davon überzeugt, dass es bei den Europawahlen im Wahlkreis Nord-Ost 2 Kandidaten von Forza Italia schaffen werden. Dieses Problem wird sich also gar nicht stellen.

STOL: Wie Giorgia Meloni, Elly Schlein oder Matteo Renzi kandidieren auch Sie selbst bei den Europawahlen. Haben Sie Verständnis für die letzthin laut gewordene Kritik an der Kandidatur der Spitzenleute italienischer Parteien?
Tajani: Dieser Tage wird viel über Namen diskutiert und gestritten: Giorgia ja oder Giorgia nein, dieses ja oder jenes nein. Ich erkläre Ihnen meine Entscheidung zu kandidieren: Unter den italienischen Politikern bin ich der einzige, der das Privileg hatte, den europäischen Institutionen in allen 3 ihrer Rollen zu dienen: dem Parlament, der Kommission und jetzt dem Europäischen Rat, der die Minister der einzelnen Mitgliedsstaaten zusammenbringt. Ich bin mit allen europäischen Mechanismen vertraut. Deshalb möchte ich den Wählern ein deutliches Signal geben: Ich stehe in der ersten Reihe, um sie daran zu erinnern, dass Forza Italia die Partei der „Spezialisten in Europa“ ist. Wir sind die italienischen Politiker, die die europäischen Mechanismen am besten kennen, die wissen, wie sie zu regieren sind, und die in der Lage sein werden, künftige Entscheidungen zu Gunsten unserer Gemeinschaften zu treffen – und zwar mit Mäßigung und Ausgewogenheit, aber auch mit großer Kraft und Entschlossenheit.

Wir sind eine Partei, die sehr gut im Land verwurzelt ist. Und die politische Botschaft von Forza Italia, die auf Mäßigung und Kompetenz setzt, ist meiner Meinung nach genau das, was die ausgeglicheneren und gemäßigteren Wähler wollen.
Antonio Tajani


STOL: Viele haben sich nach dem Tod von Cavaliere Silvio Berlusconi einen Zusammenbruch von Forza Italia erwartet, doch das Gegenteil trat ein. Wie sieht Ihr Leben als politischer Erbe Berlusconis aus? Was haben Sie mit ihm gemeinsam, was machen Sie anders?
Tajani: Wie ich schon öfters betont habe, kann man den Gründer von Forza Italia, Silvio Berlusconi, nicht mit seinen Nachfolgern vergleichen – angefangen bei mir. Dieser Unterschied ist so groß, dass ich selbst, als ich an die Spitze der Partei gewählt wurde, darum gebeten habe, die Satzungen der Partei dahingehend zu ändern, dass ich in meiner Funktion als „Sekretär“ und nicht als „Präsident“ betitelt werden. Letzteres war Berlusconis Rolle. Seit Juni 2023 haben wir einen neuen Weg eingeschlagen, auf dem sich Forza Italia jetzt wiederfindet: Es ist eine Partei, die sehr gut im Land verwurzelt ist, wir führen 5 Regionalregierungen an, wir haben Hunderte von Bürgermeistern, von Regionalratsabgeordneten, wir sind eine zuverlässige und erfahrene politische Klasse. Die politische Botschaft von Forza Italia, die auf Mäßigung und Kompetenz setzt, ist meiner Meinung nach genau das, was die ausgeglicheneren und gemäßigteren Wähler wollen.

STOL: Umfragen zeigen, dass Forza Italia auf gesamtstaatlicher Ebene wächst. In Südtirol hat Ihre Partei bei den Landtagswahlen aber nicht mehr viel Zuspruch erhalten, ist jetzt nicht einmal mehr im Landtag vertreten. Sehen Sie auch für Südtirol ein Wachstum von FI voraus?
Tajani: Forza Italia durchläuft auch in Südtirol eine positive Phase – unterstützt auch vom Rückenwind durch die guten Ergebnisse bei den Regionalwahlen in Sardinien, den Abruzzen und der Basilikata. Wir sind dabei, uns auch in Südtirol neu zu organisieren. Und die Wirkung der auf gesamtstaatlicher Ebene geleisteten Arbeit wirkt sich meiner Meinung nach auch bereits positiv auf das Engagement unserer lokalen gewählten Vertreter aus.

STOL: Zurück zu den Europawahlen: Die bevorstehenden Wahlen könnten ein wahres politisches Erdbeben auslösen. Die Umfragen zeigen, dass EU-skeptische, populistische oder (rechts-)extreme Parteien weiter an Stimmen gewinnen werden. Was erwarten Sie?
Tajani: Die EVP wird die stärkste Fraktion bleiben, und das wird alles entscheidend beeinflussen. Wir sind bereit, uns mit konservativen Formationen zu verbünden, die überzeugt pro-europäisch sind, mit denen, die Europa helfen wollen, zu wachsen und sich zu festigen, die nicht gegen Europa arbeiten, um lokal vielleicht ein paar Stimmen mehr zu bekommen. Skepsis gegenüber Europa ist selbstzerstörerisch. Und das haben die italienischen Bürger sehr gut verstanden.

Wir sind bereit, uns mit konservativen Formationen zu verbünden, die überzeugt pro-europäisch sind, mit denen, die Europa helfen wollen, zu wachsen und sich zu festigen, die nicht gegen Europa arbeiten, um lokal vielleicht ein paar Stimmen mehr zu bekommen. Skepsis gegenüber Europa ist selbstzerstörerisch.
Antonio Tajani


STOL: Ist Ursula von der Leyen nach wie vor die richtige Kandidatin, um Europa weiterhin als Kommissionspräsidentin zu führen?
Tajani: Beim Kongress in Bukarest im März wurde die derzeitige Kommissionspräsidentin von der Leyen von der Europäischen Volkspartei, deren Vizepräsident ich bin, als Kandidatin nominiert. Sie ist die richtige Kandidatin, und sicherlich ist die EVP die richtige Partei, um zu bestätigen, was die Italiener schon lange wiederentdeckt haben: Die EU ist eine große Chance für Italien und für jeden einzelnen Nationalstaat in Europa.

STOL: Für viele ist die EU der Inbegriff von Bürokratie und zum Glück weit weg. Wie erklären Sie als Großvater Ihren Enkelkindern, warum die EU notwendig ist?
Tajani: In einer Welt, in der die Kriege leider endlos zu sein scheinen, in der die Herausforderungen im Handel hart sind, in der wir mit Protagonisten wie Indien oder China konfrontiert sind, mit Ländern mit mehr als einer Milliarde Einwohnern, ist unsere einzige Rettung die Einigkeit in der EU. Mein Enkel Matteo ist noch jung, aber seine Eltern, meine Kinder, verfolgen meine Arbeit. Sie kennen Europa, und wie die Mehrheit der Italiener verstehen sie sehr gut, dass die EU verbessert, aber auch stark verteidigt werden muss. Europa muss geliebt werden, denn es ist unser aller Familie.


bv/em

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