Sonntag, 23. Juni 2024

Argentiniens Präsident Milei bei Scholz in Berlin

Ein selbst ernannter „Anarchokapitalist“ im Kanzleramt: Bei einem einstündigen Gespräch mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei hat der deutsche Kanzler Olaf Scholz am Sonntag mahnende Worte an den exzentrischen Radikalreformer gerichtet. Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit unterstrich Scholz, dass Sozialverträglichkeit und der Schutz des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei den harten Sparmaßnahmen des Präsidenten ein wichtiger Maßstab sein sollten.

Bisher empfingen Milei nur wenige Staats- und Regierungschefs. - Foto: © APA/dpa / Daniel Bockwoldt

Der ultraliberale Milei hält allerdings nichts von sozialen Sicherungssystemen und Umverteilung. Steuern sind in seinen Augen Raub und Bemühungen um soziale Gerechtigkeit führten immer zu mehr Ungerechtigkeit, so seine Überzeugung. „Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem“, lautet eines seiner Mantras.

Das Gespräch dauerte wie geplant nur 60 Minuten. Eine zunächst angekündigte gemeinsame Pressekonferenz von Scholz und Milei war ebenso wie der Empfang mit militärischen Ehren kurzfristig abgesagt worden - auf Wunsch des argentinischen Präsidenten, wie es von deutscher Seite hieß. Der einzige gemeinsame öffentliche Auftritt blieb damit ein kurzer Fototermin bei der Begrüßung mit Handschlag vor dem Kanzleramt.

Vor der Regierungszentrale protestierten mehrere Dutzend Demonstranten mit Plakaten wie „Weg mit Milei“ und „Argentinien steht nicht zum Verkauf“ gegen den Besuch. Sie skandierten „Milei, Abschaum - du bist die Diktatur.“

Argentinien steckt in einer Rezession und leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Der ultraliberale Präsident will das einst reiche Land mit einem radikalen Sparprogramm wieder auf Kurs bringen. Das hat allerdings seinen Preis: Die harten Maßnahmen würgen die Wirtschaftsleistung ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Rückgang um 2,8 Prozent im laufenden Jahr. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut.

Scholz und Milei sprachen auch über die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder. Beide machten sich laut Hebestreit für den zügigen Abschluss der seit 25 Jahren andauernden Gespräche über eine Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenverbund Mercosur stark, dem neben Argentinien auch Brasilien, Uruguay und Paraguay angehören. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Eine Grundsatzeinigung aus dem Jahr 2019 wird jedoch wegen anhaltender Bedenken - etwa beim Regenwaldschutz - nicht umgesetzt.

Auf einer Linie waren Scholz und Milei auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beide seien sich einig gewesen, „dass Russland es in der Hand hat, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden“, erklärte Hebestreit.

Der Staatschef der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas, die zur G20-Staatengruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gehört, gilt als Exzentriker und wird oft mit dem früheren US-Präsidenten Donald Trump verglichen. Parlamentarier tituliert er gerne als „Ratten“ und der Staat ist für ihn die Wurzel allen Übels. Bei seinem zweitägigen Besuch in Deutschland gab er sich allerdings eher zahm.

apa

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