Sonntag, 24. September 2023

Wie überbringt man eine Todesnachricht?

Es ist wohl eine der härtesten Aufgaben, die man übernehmen kann: Marlene Kranebitter (54) ist Landesleiterin der Notfallseelsorge in Südtirol und überbringt Todesnachrichten. Was sie erlebt und wieso sie ernst bleibt, obwohl sie gerne weinen würde, lesen Sie im STOL-Sonntags-Gespräch.

Marlene Kranebitter arbeitetet bei der Notfallseelsorge Südtirol. - Foto: © Oskar Zingerle

Von:
Matteo Tomada

STOL: Frau Kranebitter, wie bringt man den Angehörigen den Tod eines Liebsten bei? Die Betroffenen öffnen Ihnen die Haustür, und dann?

Marlene Kranebitter: Wir stehen meistens zu viert vor der Haustür: 2 von der Notfallseelsorge und 2 Beamte, alle in Uniform. Ich versuche den Angehörigen in ganz wenigen Worten zu sagen, was passiert ist, wie zum Beispiel: „Ihr Mann ist tödlich verunglückt.“ Zuerst müssen wir uns aber vergewissern, dass wir mit der richtigen Person sprechen, und versuchen, zu ihr in die Wohnung zu gelangen, damit sie uns nicht die Haustür ins Gesicht schlägt und heftig reagiert.

STOL: Wie reagieren Angehörige nach einer so schrecklichen Nachricht?
Kranebitter: Das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche erstarren, andere weinen, wieder andere schreien. Es hängt auch nicht mit dem Alter der Betroffenen zusammen, jeder reagiert anders. Ich selber wüsste auch nicht, wie ich reagieren würde. Die schlimmsten Todesnachrichten sind die, die unerwartet kommen, weil man nicht vorbereitet ist.


Wenn die Notfallseelsorge vor der Tür steht, ist das meistens kein gutes Zeichen. - Foto: © Notfallseelsorge




STOL: Was passiert danach?
Kranebitter: Man muss alle Reaktionen zulassen. Es sind normale Reaktionen auf eine unnormale Situation, wie ich immer sage. Ich versuche, die Menschen in dem Moment zu begleiten und zu verstehen, was sie brauchen.

STOL: Wann ist Ihre Arbeit getan?
Kranebitter: Der durchschnittliche Einsatz dauert knapp 4 Stunden. Man muss sich auf das eigene Gefühl verlassen. Irgendwann spürt man, dass man nicht mehr gebraucht wird und man die Angehörigen alleine lassen kann.


Ich weine manchmal nach dem Einsatz, beim Heimfahren zum Beispiel.
Marlene Kranebitter



STOL: Was sagen Sie zum Abschied?
Kranebitter: Wir geben den Betroffenen eine Broschüre, in der sie über Trauer informiert werden und wo unsere Kontaktdaten angegeben sind, falls sie Hilfe brauchen. Danach fragen wir, was wir noch für sie tun können, und wünschen ihnen viel Kraft.


Menschen reagieren bei schlechten Nachrichten ganz unterschiedlich. - Foto: © Shutterstock




STOL: Belastet Sie diese Aufgabe?
Kranebitter: Ich muss eine gewisse Distanz zu den Betroffenen bewahren. Bei den monatlichen Nachbesprechungen der Notfallseelsorger können wir uns dann aussprechen. Es gibt auch Möglichkeiten, mit Notfallpsychologen zu sprechen. Wir versuchen aber immer, die nötige Distanz zu haben, weil es nicht unsere Geschichte ist und wir die Angehörigen begleiten sollten.

STOL: Haben Sie mit den Angehörigen schon einmal mitgeweint?
Kranebitter: Nein, noch nie. Ich weine manchmal erst nach dem Einsatz, beim Heimfahren zum Beispiel. Ich schaffe es nämlich sehr gut, meine Gefühle aufzuschieben. Natürlich kann es auch passieren, dass man mit den Angehörigen mitweint. Die Grenze zwischen begleiten und mitleiden sollte man aber beachten. Man kann besser helfen, wenn man nicht zu viel mitfühlt.


Niemals sollte man die Todesnachricht per Whatsapp oder SMS schreiben.
Marlene Kranebitter



STOL: Sie machen diese Arbeit ehrenamtlich, wieso tun Sie sich das an?
Kranebitter: Schwierige Frage. Es ist definitiv kein Hobby. Es geht darum, jemanden in ganz schwierigen Momenten des Lebens zu unterstützen.


Die Notfallseelsorge wird über die Landesnotrufzentrale alarmiert. - Foto: © Weißes Kreuz




STOL: Jedem kann es leider passieren, dass er eine Todesnachricht überbringen muss. Was sollte man beachten?
Kranebitter: Wo es möglich ist, sollte man die Botschaft persönlich überbringen und so direkt und sachlich wie möglich sein. Es hilft nicht, es hinauszuzögern. Außerdem sollte man sich auf jeden Fall genügend Zeit für den Betroffenen nehmen und Ruhe vermitteln. Niemals sollte man die Todesnachricht per Whatsapp oder SMS schreiben. Man weiß nämlich nie, wo sich der Betroffene gerade befindet und wie er reagiert. Es kann sein, dass ihn dort niemand auffängt.


Ich habe während dieser Zeit viel gelernt über mich und das Leben selbst.
Marlene Kranebitter



STOL: Darf man die Notfallseelsorge anrufen, wenn man die Nachricht nicht selbst überbringen kann?
Kranebitter: Wir werden ausschließlich über die Landesnotrufzentrale (112) alarmiert. In solchen Fällen kann man dort anrufen, dann kommen wir.

STOL: Sie machen diese Arbeit nun schon seit über 20 Jahren. Haben Sie nicht irgendwann genug?
Kranebitter: So schnell werde ich mich von dieser Arbeit nicht trennen. Ich habe während dieser Zeit viel gelernt über mich und das Leben selbst, über den Wert des Lebens und was man wirklich braucht und was wichtig ist.

Erst kürzlich hat Marlene Kranebitter für ihre unbezahlbare Arbeit bei der Notfallseelsorge das Verdienstkreuz des Landes Tirol erhalten. Die STOL-Redaktion gratuliert!

Alle STOL-Sonntags-Gespräche im Überblick finden Sie hier.

teo

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