Sonntag, 17. September 2023

Über einen Künstler, der in seiner Almhütte wohnt und das Dorf verabscheut

Markus Delago (59) ist ein Grödner Künstler. Seit knapp 10 Jahren lebt er auf seiner Almhütte in St. Ulrich, die er in ein Atelier umgewandelt hat. Dort findet er die nötige Inspiration, um seine Kunstwerke zu verwirklichen. In seinem Leben sucht er immer nach Veränderung und liebt trotzdem die Routine, den Flow, wo er geistesgegenwärtig ist. Im Interview spricht er über die Herausforderungen auf der Almhütte und was er daran liebt.

Markus Delago steht vor seiner Almhütte und genießt den Sonnenuntergang.

Von:
Matteo Tomada
STOL: Herr Delago, wie sind Sie auf die verrückte Idee gekommen, in Ihre Almhütte zu ziehen?
Markus Delago: Ich hatte das große Glück, die Almhütte zu erben. Immer wieder bin ich dafür dankbar. Die Lage ist ideal. Mit dem Motorrad bin ich in nur 10 Minuten auf dem Dorfplatz. Dort fahre ich aber nur selten hin, ich kann im Dorf nämlich nicht mehr leben.


Markus Delago genießt das Leben auf seiner Alm. - Foto: © teo




STOL: Wie das?
Delago: Der Dorfplatz ist zum Davonlaufen, er ist total überfüllt und fühlt sich an wie ein Basislager. Bekannterweise riechen diese nicht besonders gut. Das Dorf ist ein Auffangbecken, wo Leute hinkommen, verköstigt werden und dann wandern gehen. Es ist asozial und entseelt: Man darf keine Discos mehr haben, es darf keine laute Musik mehr geben und es gibt zu viele Hotels. Sogar an kalten Wintertagen bin ich deswegen froh, in der Hütte wohnen zu können.


Markus Delago chillt auch gerne in seiner Hängematte. - Foto: © teo




STOL: Ist es im Winter nicht total kalt, dunkel und ungemütlich?
Delago: Ganz im Gegenteil. Wenn es draußen kalt und finster ist, kann ich in meiner Hütte besonders gut arbeiten. Dieses Gefühl, so isoliert zu sein, inspiriert mich besonders, und ich werde richtig produktiv. Ich muss im Herbst aber vorsorgen, um gut durch den Winter zu kommen. Ich führe die wichtigsten Lebensmittel und Farben für meine Kunst auf die Hütte und richte genügend Brennholz her. Im Winter ist meine Hütte nämlich nur mehr zu Fuß erreichbar.


Markus Delago hat den vorderen Teil seiner Almhütte in ein Atelier umgewandelt. - Foto: © teo




Die Almhütte von Delago ist gut ausgestattet: Sie hat eine Fotovoltaikanlage und Batterien, die ihn mit Strom versorgen, 2 Holzöfen und fließend Wasser. Seit Neuestem hat Delago auch einen Internetanschluss. Diesen braucht er aber nur für E-Mails und Musik. „Die sozialen Medien würden uns vom Wesentlichen ablenken“, meint er.


Die Sonnenuntergänge auf seiner Hütte sind wunderschön. - Foto: © teo





STOL: Sie sind Kunstlehrer am Kunstgymnasium in St. Ulrich und müssen jeden Tag dorthin, wie geht das?
Delago: Ich muss sehr früh aufstehen und gehe dann mit einer Stirnlampe zu Fuß ins Dorf. Im Winter liegt vor der Hütte oft ein ganzer Meter Neuschnee: Ich fahre dann mit den Skiern runter und gehe mit den Fellen wieder hoch. Ich finde den Weg ins Dorf sehr meditativ und halte mich ganz nebenbei fit.


Delago isst wenig. Manchmal gönnt er sich aber ein biologisches Stück Fleisch, das er in seiner Küche zubereitet. - Foto: © teo




STOL: Wirkt sich das Hüttenleben auf Ihre Kunst aus?
Delago: Ich arbeite sehr viel mit Materialien, die ich im Wald finde. Ich suche oft nach Baumstämmen, bringe diese in die Hütte und beginne auf ihnen zu arbeiten. Gerne habe ich solche, die von Borkenkäfern zerfressen sind. Von außen arbeite ich mich dann in den Baumstamm hinein. Danach schaut es aus wie eine Stadt, da man viele Türen und Fenster im Holz sieht. Neuerdings habe ich auch mit Müll gearbeitet, den ich unweit meiner Hütte gefunden habe.


Delago arbeitet gerne mit Baumstämmen. - Foto: © Andreas Linder


Die Natur spielt in den Kunstwerken von Delago eine wichtige Rolle. - Foto: © Andreas Linder




STOL: Was für Müll?
Delago: Beim Spazierengehen habe ich auf einem Geröllhang am Fuße der Seceda eine kaputte Waschmaschine gefunden. Wahrscheinlich hat die jemand in den Siebzigerjahren vom Berg runtergeworfen. Daneben lagen auch noch weitere Bleche. Diese habe ich zusammen mit der Waschmaschine mit einem Hubschrauber zu meiner Hütte fliegen lassen. Daraus habe ich dann Kunst gemacht, weil ich es so absurd finde, dass man auf der Alm eine kaputte Waschmaschine findet.


Diese Waschmaschine hat Markus Delago am Fuße der Seceda gefunden. - Foto: © Andreas Linder



Aus der völlig zerstörten Waschmaschine hat er Kunst gemacht. - Foto: © Andreas Linder




STOL: Sie haben keine Waschmaschine in der Hütte?
Delago: Nein, aber ich habe eine in meiner Wohnung im Dorf. Vor allem im Winter wasche ich dort meine Wäsche. Im Sommer hingegen benutze ich gerne meine Traufe. Unterm Regen stehe ich im Freien, spüle das Geschirr ab und wasche meine Wäsche – natürlich mit Bioprodukten. Das funktioniert einwandfrei.

STOL: Hat Sie das Hüttenleben verändert?
Delago: Ja, ich merke es vor allem beim Einkaufen und beim schonenden Umgang mit Ressourcen. Manchmal habe ich Freunde aus der Stadt zu Besuch: Sie lassen die Türe offen und das Licht an. Sie verschwenden Ressourcen, ohne es zu merken. Beim Einkaufen finde ich die sperrigen Verpackungen der Produkte pure Verschwendung. Ich esse deshalb weniger und versuche nur Qualitätsprodukte zu kaufen. Am liebsten mag ich Gemüse aus meinem Garten.


Die Almhütte liegt am Fuße der Seceda und schaut auf das Grödnertal. Hinter der Hütte befindet sich einer von Delagos Gärten. - Foto: © teo




STOL: Trägt das Leben auf der Almhütte zu Ihrem Erfolg als Künstler bei?
Delago: Ich habe als Künstler nicht besonders viel Erfolg, aber ich sehe das durchaus positiv. Ich bin dadurch total frei und nicht gefangen wie andere, die für eine Galerie immer und immer wieder die gleiche Kunst mit derselben Methode liefern müssen. Diese Wiederholung wäre für mich schrecklich. Ich finde Veränderung als etwas vom Wichtigsten im Leben.


Auf der Almwiese hinter der Hütte sind Kunstwerke von Delago ausgestellt. - Foto: © teo




STOL: Für die Gemeinde reinigen Sie Wasserrinnen auf einigen Forststraßen in der Gegend. Klingt nicht nach Veränderung...
Delago: Es ist eine großartige Arbeit. Ich stehe dafür früh auf und kann beim Reinigen jedes Mal einen wahnsinnig schönen Sonnenaufgang erleben. Weil die Arbeit so repetitiv ist, komme ich in einen Flow, und die Stunden verfliegen wie im Wind. Die Arbeit ist wie eine Meditation: Man ist geistesgegenwärtig – einfach präsent. Ein solches Gefühl habe ich auch beim Sport, bei meiner Arbeit als Künstler oder beim Trommeln.


Auch im Winter stellt Delago seine Kunstwerke vor die Hütte. - Foto: © Andreas Linder




STOL: Wie passt dieser Zustand mit dem Drang nach Veränderung zusammen?
Delago: Man sollte die Sachen nicht überdenken, nicht ängstlich aufs Leben blicken und seine Zukunft nicht minutiös planen. Ich finde das spontane Handeln faszinierend. Bei meiner Arbeit als Künstler überlege ich nicht stundenlang, was ich mache. Ich handle einfach. Früher war das oft anders. Ich habe ewig geplant und nichts umgesetzt. Man muss wagen und nicht lange überlegen.


Oberhalb der Hütte gibt es einen kleinen Teich. - Foto: © teo




STOL: Sie trommeln auch?
Delago: Ich war vor rund 20 Jahren in Afrika und habe dort trommeln gelernt. Es ist eine der intensivsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Die Menschen trommeln dort in der Gruppe, singen und tanzen. Selten war ich so präsent.


Markus Delago trommelt leidenschaftlich gerne. Im Bild sind einige seiner Trommeln zu sehen. - Foto: © teo




STOL: Das „Präsentsein“ ist im Buddhismus sehr wichtig. Sind Sie Buddhist?
Delago: Ich bin ein Gemisch aus verschiedenen Kulturen und Religionen. Das finden DNA-Forscher auch immer wieder heraus, dass es nicht die eine „perfekte“ DNA gibt. Wir sind eine Mischung aus vielen Teilen der Welt. Wir kommen von überallher.

teo

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