Markus Delago: Ich hatte das große Glück, die Almhütte zu erben. Immer wieder bin ich dafür dankbar. Die Lage ist ideal. Mit dem Motorrad bin ich in nur 10 Minuten auf dem Dorfplatz. Dort fahre ich aber nur selten hin, ich kann im Dorf nämlich nicht mehr leben.
STOL: Wie das?
Delago: Der Dorfplatz ist zum Davonlaufen, er ist total überfüllt und fühlt sich an wie ein Basislager. Bekannterweise riechen diese nicht besonders gut. Das Dorf ist ein Auffangbecken, wo Leute hinkommen, verköstigt werden und dann wandern gehen. Es ist asozial und entseelt: Man darf keine Discos mehr haben, es darf keine laute Musik mehr geben und es gibt zu viele Hotels. Sogar an kalten Wintertagen bin ich deswegen froh, in der Hütte wohnen zu können.
STOL: Ist es im Winter nicht total kalt, dunkel und ungemütlich?
Delago: Ganz im Gegenteil. Wenn es draußen kalt und finster ist, kann ich in meiner Hütte besonders gut arbeiten. Dieses Gefühl, so isoliert zu sein, inspiriert mich besonders, und ich werde richtig produktiv. Ich muss im Herbst aber vorsorgen, um gut durch den Winter zu kommen. Ich führe die wichtigsten Lebensmittel und Farben für meine Kunst auf die Hütte und richte genügend Brennholz her. Im Winter ist meine Hütte nämlich nur mehr zu Fuß erreichbar.
Die Almhütte von Delago ist gut ausgestattet: Sie hat eine Fotovoltaikanlage und Batterien, die ihn mit Strom versorgen, 2 Holzöfen und fließend Wasser. Seit Neuestem hat Delago auch einen Internetanschluss. Diesen braucht er aber nur für E-Mails und Musik. „Die sozialen Medien würden uns vom Wesentlichen ablenken“, meint er.
STOL: Sie sind Kunstlehrer am Kunstgymnasium in St. Ulrich und müssen jeden Tag dorthin, wie geht das?
Delago: Ich muss sehr früh aufstehen und gehe dann mit einer Stirnlampe zu Fuß ins Dorf. Im Winter liegt vor der Hütte oft ein ganzer Meter Neuschnee: Ich fahre dann mit den Skiern runter und gehe mit den Fellen wieder hoch. Ich finde den Weg ins Dorf sehr meditativ und halte mich ganz nebenbei fit.
STOL: Wirkt sich das Hüttenleben auf Ihre Kunst aus?
Delago: Ich arbeite sehr viel mit Materialien, die ich im Wald finde. Ich suche oft nach Baumstämmen, bringe diese in die Hütte und beginne auf ihnen zu arbeiten. Gerne habe ich solche, die von Borkenkäfern zerfressen sind. Von außen arbeite ich mich dann in den Baumstamm hinein. Danach schaut es aus wie eine Stadt, da man viele Türen und Fenster im Holz sieht. Neuerdings habe ich auch mit Müll gearbeitet, den ich unweit meiner Hütte gefunden habe.
STOL: Was für Müll?
Delago: Beim Spazierengehen habe ich auf einem Geröllhang am Fuße der Seceda eine kaputte Waschmaschine gefunden. Wahrscheinlich hat die jemand in den Siebzigerjahren vom Berg runtergeworfen. Daneben lagen auch noch weitere Bleche. Diese habe ich zusammen mit der Waschmaschine mit einem Hubschrauber zu meiner Hütte fliegen lassen. Daraus habe ich dann Kunst gemacht, weil ich es so absurd finde, dass man auf der Alm eine kaputte Waschmaschine findet.
STOL: Sie haben keine Waschmaschine in der Hütte?
Delago: Nein, aber ich habe eine in meiner Wohnung im Dorf. Vor allem im Winter wasche ich dort meine Wäsche. Im Sommer hingegen benutze ich gerne meine Traufe. Unterm Regen stehe ich im Freien, spüle das Geschirr ab und wasche meine Wäsche – natürlich mit Bioprodukten. Das funktioniert einwandfrei.
STOL: Hat Sie das Hüttenleben verändert?
Delago: Ja, ich merke es vor allem beim Einkaufen und beim schonenden Umgang mit Ressourcen. Manchmal habe ich Freunde aus der Stadt zu Besuch: Sie lassen die Türe offen und das Licht an. Sie verschwenden Ressourcen, ohne es zu merken. Beim Einkaufen finde ich die sperrigen Verpackungen der Produkte pure Verschwendung. Ich esse deshalb weniger und versuche nur Qualitätsprodukte zu kaufen. Am liebsten mag ich Gemüse aus meinem Garten.
STOL: Trägt das Leben auf der Almhütte zu Ihrem Erfolg als Künstler bei?
Delago: Ich habe als Künstler nicht besonders viel Erfolg, aber ich sehe das durchaus positiv. Ich bin dadurch total frei und nicht gefangen wie andere, die für eine Galerie immer und immer wieder die gleiche Kunst mit derselben Methode liefern müssen. Diese Wiederholung wäre für mich schrecklich. Ich finde Veränderung als etwas vom Wichtigsten im Leben.
STOL: Für die Gemeinde reinigen Sie Wasserrinnen auf einigen Forststraßen in der Gegend. Klingt nicht nach Veränderung
Delago: Es ist eine großartige Arbeit. Ich stehe dafür früh auf und kann beim Reinigen jedes Mal einen wahnsinnig schönen Sonnenaufgang erleben. Weil die Arbeit so repetitiv ist, komme ich in einen Flow, und die Stunden verfliegen wie im Wind. Die Arbeit ist wie eine Meditation: Man ist geistesgegenwärtig – einfach präsent. Ein solches Gefühl habe ich auch beim Sport, bei meiner Arbeit als Künstler oder beim Trommeln.
STOL: Wie passt dieser Zustand mit dem Drang nach Veränderung zusammen?
Delago: Man sollte die Sachen nicht überdenken, nicht ängstlich aufs Leben blicken und seine Zukunft nicht minutiös planen. Ich finde das spontane Handeln faszinierend. Bei meiner Arbeit als Künstler überlege ich nicht stundenlang, was ich mache. Ich handle einfach. Früher war das oft anders. Ich habe ewig geplant und nichts umgesetzt. Man muss wagen und nicht lange überlegen.
STOL: Sie trommeln auch?
Delago: Ich war vor rund 20 Jahren in Afrika und habe dort trommeln gelernt. Es ist eine der intensivsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Die Menschen trommeln dort in der Gruppe, singen und tanzen. Selten war ich so präsent.
STOL: Das „Präsentsein“ ist im Buddhismus sehr wichtig. Sind Sie Buddhist?
Delago: Ich bin ein Gemisch aus verschiedenen Kulturen und Religionen. Das finden DNA-Forscher auch immer wieder heraus, dass es nicht die eine „perfekte“ DNA gibt. Wir sind eine Mischung aus vielen Teilen der Welt. Wir kommen von überallher.