Samstag, 25. Mai 2024

Im Geschäft vom 4. Stock in die Tiefe gestürzt: „Habe gelernt loszulassen“

Roland Villgrater (48) aus Sexten ist ein Naturmensch, wie er in einem Video auf Facebook erzählt, nachdem er im Netz wegen einiger Aussagen zum Wolf heftig kritisiert worden war. Doch das war nicht immer so. Ein schwerer Unfall im Alter von 24 Jahren hat sein Leben komplett verändert. Im STOL-Samstagsgespräch erzählt er, was genau passiert ist und wie er mit den Folgen klarkommt.

Nach seinem schweren Unfall im Jahr 2000 ist Roland Villgrater aus Sexten ein Naturmensch geworden. - Foto: © Roland Villgrater

Von:
Matteo Tomada
STOL: Herr Villgrater, nach Ihren Aussagen zum Wolf wurden Sie im Netz angegriffen und beleidigt. Hat die Hetze wieder nachgelassen?
Roland Villgrater: In der heutigen Zeit mit der Flut an Nachrichten ziehen diese Shitstorms schnell vorüber – binnen 2 bis 3 Tagen war wieder alles ruhig. Ich habe in der Zeit aber private Nachrichten bekommen, die ziemlich unter die Gürtellinie gingen. Ich verstehe, dass es ein heißes Thema ist, und ich kann jede Position verstehen.


Bei der Eröffnung des Shops bin ich vom 4. Stock des Geschäfts auf den Betonboden geknallt.
Roland Villgrater



STOL: In einem Video haben Sie dazu Stellung genommen und auch gesagt, dass Sie ein Naturmensch sind. Das war aber nicht immer so ...
Villgrater: Als Jugendlicher war ich sehr übermütig, ich liebte die Geschwindigkeit auf Skiern oder dem Motorrad und feierte ausgelassen. Ich wollte den Menschen etwas beweisen und schlüpfte in eine Rolle, die nicht zu mir passte. Ich war zu der Zeit etwas verloren. Aus heutiger Sicht glaube ich, dass ich schon als kleines Kind überfordert war – unter anderem wegen meiner riesigen Familie: Meine Mutter hatte 13 Geschwister, mein Vater 15.


Roland Villgrater ist Natur- und Tierfotograf. - Foto: © Roland Villgrater




STOL: Wann hat sich Ihr Leben geändert?
Villgrater: Im Jahr 2000, als ich 24 Jahre alt war. Ich war damals Angestellter beim Sportgeschäft „Sportler“ in Bruneck und war ein erfolgreicher Verkäufer. Innerlich ging es mir aber nicht gut. Bei der Eröffnung des Shops bin ich vom 4. Stock des Geschäfts auf den Betonboden geknallt.


Ich habe die Bilder immer noch vor mir, ich war nämlich immer bei Bewusstsein und bekam alles mit.
Roland Villgrater



STOL: Wie?
Villgrater: Im Geschäft gibt es einen Klettersteig, der über die rechte Wand bis in den 4. Stock führt. Bei der Eröffnung hatten wir etwas getrunken und waren gut drauf. Jugendliche haben am Abend angefangen, sich von oben mit dem Selbstsicherungsgerät ohne Seil und ohne Gurt über die 4 Etagen abzuseilen. Das habe ich dann auch getan: Ich war leichtsinnig und wollte beweisen, wie cool ich bin. Beim dritten Mal bin ich mit meiner Hand abgerutscht und mit voller Wucht auf den Betonboden geknallt.

STOL: Auweh.
Villgrater: Beide Fersen waren komplett zertrümmert und lagen 10 Zentimeter neben dem normalen Fußlauf – sie waren wie Sand zerfetzt. Zudem waren mein Becken und mein Kreuzbein gebrochen, und ich erlitt einen inkompletten Querschnitt. Im rechten Arm hatte ich 13 Brüche und überall waren Blutergüsse. Ich habe die Bilder immer noch vor mir, ich war nämlich immer bei Bewusstsein und bekam alles mit.


Roland Villgrater fotografiert besonders gerne Tiere wie diesen Hirsch im Schnee. - Foto: © Roland Villgrater




STOL: Was ist dann passiert?
Villgrater: Ich wurde in das Krankenhaus Bruneck eingeliefert und dann sofort nach Innsbruck gebracht, um die Notoperation an der Wirbelsäule zu machen. Auch andere Operationen wurden dort in 3 Wochen Aufenthalt durchgeführt. Ein Arzt hat mir damals gesagt, dass ich zwar wieder gehen könne, aber Wandern oder ähnliche Sachen könne ich vergessen. In mir kam dann eine Stimme auf, die sagte: „Das werden wir noch sehen“.

STOL: Hatte diese Stimme recht?
Villgrater: Nach dem Unfall habe ich zunächst alles durchgemacht: Schmerzen, Verzweiflung und Höllenqualen. Auch Todesangst, vor allem vor Operationen, wo ich gespürt habe, dass es gleich vorbei sein könnte mit mir. Aber ich fühlte auch den Biss. Ich wollte unbedingt wieder richtig gehen können und habe das auch geschafft.


Das alte Leben wollte ich hinter mir lassen und bin dann schön langsam zum Naturmenschen geworden.
Roland Villgrater



STOL: Können Sie wieder normal gehen?
Villgrater: Ich kann gehen, ich kann stehen. Es gibt aber gute und schlechte Tage. Mein Nervensystem ist sehr wetterabhängig und ich reagiere auf jede Begebenheit sehr sensibel. Ich bin in den vergangenen Jahren sogar wieder Ski und Snowboard gefahren. Das alte Leben wollte ich aber hinter mir lassen und bin dann schön langsam zum Naturmenschen geworden. Ich war in der Zeit auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.


Ein Steinbock, fotografiert von Roland Villgrater. - Foto: © Roland Villgrater




STOL: Wo haben Sie gesucht?
Villgrater: Ich war bei einem Mentor, der mir Schritt für Schritt gezeigt hat, wer ich bin. Durch ihn bin ich authentisch geworden und kann von mir nun sagen, dass ich bin, wer ich wirklich bin: ein Naturmensch. Ich verbringe viel Zeit in der Natur und verbinde es mit der Fotografie. Meine 11-jährige Tochter Isa teilt diese Leidenschaft mit mir und mein Herz strahlt dabei. Für meinen Körper ist diese Tätigkeit gut machbar, der ganze Rest ist eher schädlich.

STOL: Wie meinen Sie das?
Villgrater: Zum Beispiel Ski oder Snowboard fahren, alle Aktivitäten, wo ich Schläge in die Wirbelsäule bekomme, sind für mich Gift. Wandern, Sauna oder Schwimmen sind hingegen gut. Vor 2 Jahren war ich für meine Verhältnisse extrem fit und habe sogar eine Wanderung zur Adolf-Noßberger-Hütte mit rund 1000 Höhenmetern gemacht – das war eine Leistung, für mich ein Vulkanausbruch der Gefühle. Gleich danach begannen aber die härtesten 2 Jahre meines Lebens.


Gleich danach begannen die härtesten 2 Jahre meines Lebens.
Roland Villgrater



STOL: Wie das?
Villgrater: Vielleicht war der Körper nach der anspruchsvollen Wanderung überstrapaziert. Jedenfalls erlitt ich eine schwere Corona-Erkrankung, die ich alleine daheim ausgestanden habe. Nach 9 Tagen Kampf gegen die Krankheit war ich aber komplett am Ende. Meine Wirbelsäule schmerzte höllisch und ich brauchte Therapien und Spritzen im Krankenhaus. Wenig später ist dann eine schwere Nierenerkrankung dazugekommen. Ich lebe alleine und bin deshalb auch psychisch an meine Grenzen gekommen.


Roland Villgrater ist oft in der Natur, um Tiere zu fotografieren. - Foto: © Roland Villgrater




STOL: Geht es Ihnen jetzt wieder besser?
Villgrater: Jetzt bin ich wieder relativ fit, zwar nicht mehr auf dem Stand von vor 2 Jahren, aber den Alltag meistere ich gut. Ich arbeite auch selbstständig. Ich habe ein Geschäft in Toblach, wo ich meine eigene Kleiderkollektion verkaufe, die ich selbst entwerfe. Alles sehr naturverbunden. Und auch hier bin ich in den vergangenen Jahren zwischen Corona, Lockdowns, Teuerung und Kaufkraftverlust als Geschäftsmann sehr unter Druck gekommen. Mit meinem gebrechlichen Körper war das doppelt schwierig.


Neben Tierfotos schießt Roland Villgrater auch schöne Landschaftsfotos. - Foto: © Roland Villgrater




STOL: Wie blicken Sie auf den Unfall zurück?
Villgrater: Von einer Sekunde zur anderen landest du in der Mülltonne. Nach dem Unfall musste ich eine Entwicklung durchmachen und stark an mir arbeiten. Ich bin sehr gläubig und überzeugt, dass nichts umsonst passiert. Über die Jahre erkennt man das Puzzle im Leben, das sich langsam vervollständigt. Ich habe jetzt viel mehr Respekt und bin viel dankbarer. Im Leben geht es viel ums Loslassen lernen: Es kann sich nämlich schlagartig ändern. Ich weiß jetzt, dass es im Leben nur ganz wenig braucht. Ich habe in der Zeit nach dem Unfall Momente der absoluten Stille und des Friedens erlebt. Es gibt eine Welt, die viel unendlich größer ist. Seit dem Unfall bin ich mit dieser Welt verbunden.

teo

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