Dienstag, 10. Oktober 2023

Zum Welttag für psychische Gesundheit: „Vorurteile halten sich hartnäckig“

Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen oder Drogen- und Alkoholmissbrauch: Noch immer haftet betroffenen Personen ein Stigma an, das ihre Hemmschwelle erhöht, sich Hilfe zu holen. Am heutigen Welttag für psychische Gesundheit warnt Dr. Andreas Conca, der auch Vorstandsmitglied der italienischen Fachgesellschaft der Psychiatrie ist, im STOL-Interview vor einer „besorgniserregenden Situation“.

Gegenwärtig halten sich Vorurteile im Zusammenhang mit Fragen der psychischen Gesundheit hartnäckig und beeinflussen die öffentliche Meinung, sagt Dr. Andreas Conca im Stol-Interview. - Foto: © dpa-tmn / Klaus-Dietmar Gabbert

Von:
Isabelle Hansen


STOL: Heute leuchten zum Welttag der psychischen Gesundheit auch in Südtirol einige Gebäude grün. Warum ist es so wichtig, auf dieses Thema hinzuweisen?
Dr. Andreas Conca: Die seelische Gesundheit wird heute anders wahrgenommen als früher, aber es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis sie definitiv eine zentrale Rolle in der Gesellschaft einnimmt, gänzlich frei von Vorurteilen. Der Welttag ist für den Einzelnen und die Gesellschaft eine Gelegenheit, sich auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren: die Seele und ihr Recht auf Gesundheit.

Gegenwärtig halten sich Vorurteile im Zusammenhang mit Fragen der psychischen Gesundheit hartnäckig und beeinflussen die öffentliche Meinung etwa bezüglich Schizophrenie, Stimmungsstörungen oder Angstzuständen, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen oder Drogen- und Alkoholmissbrauch.
Dr. Andreas Conca, Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Bezirks Bozen und Vorstandsmitglied der italienischen Fachgesellschaft der Psychiatrie



STOL: Personen mit psychischen Problemen haftet aber nach wie vor ein Stigma an?
Dr. Conca: Gegenwärtig halten sich Vorurteile im Zusammenhang mit Fragen der psychischen Gesundheit hartnäckig und beeinflussen die öffentliche Meinung etwa bezüglich Schizophrenie, Stimmungsstörungen oder Angstzuständen, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen oder Drogen- und Alkoholmissbrauch. Auch heute glauben manche Menschen noch, es reiche einfach aus, seine Probleme mit einem Freund zu teilen, wenn man sich Luft machen muss. Oder auch, dass eine Person mit psychischen Störungen immer eine potenzielle Gefahr für die Gesellschaft ist. Entsprechend oft werden diese Personen am Arbeitsplatz und in sozialen Beziehungen diskriminiert. Wer eine psychiatrische Klinik aufsucht und dies offen sagt, erntet Kritik und negative Reaktionen. Dabei ist eine Fachkraft aufzusuchen für alle psychisch kranken Menschen ein Recht.

STOL: Das erhöht die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen? Mit welchen Folgen?
Dr. Conca: Das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, ist eines der Haupthindernisse für das Aufsuchen von Fachinstitutionen. Dies führt zu sozialer Isolation und Diskriminierung innerhalb der Familien, in den Schulen, am Arbeitsplatz und in vielen anderen öffentlichen Bereichen.

Die Wirtschaftskrise, von der Italien wie auch viele andere Länder weltweit betroffen sind, und die Aussicht auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur schaffen eine besorgniserregende Situation.
Dr. Andreas Conca, Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Bezirks Bozen und Vorstandsmitglied der italienischen Fachgesellschaft der Psychiatrie


STOL: Ist die seelische Gesundheit aktuell mehr in Gefahr als früher?
Dr. Conca: Die Wirtschaftskrise, von der Italien wie auch viele andere Länder weltweit betroffen sind, und die Aussicht auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur schaffen eine besorgniserregende Situation. Diese Faktoren kommen zu den wachsenden Sorgen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, den geopolitischen Spannungen, den postpandemischen Zeiten, den sozialen Spannungen und dem arbeitsbedingten Stress hinzu. Dies sind nur einige der Gründe, warum die psychische Gesundheit der Menschen ständige Aufmerksamkeit und Fürsorge erfordern sollte.

Die Sicherstellung des Zugangs zu den psychosozialen Diensten sollte für alle Staaten eine Verpflichtung und Verantwortung sein.
Dr. Andreas Conca, Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Bezirks Bozen und Vorstandsmitglied der italienischen Fachgesellschaft der Psychiatrie



STOL: Welche – auch präventiven – Maßnahmen bräuchte es?
Dr. Conca: Die Sicherstellung des Zugangs zu den psychosozialen Diensten sollte für alle Staaten eine Verpflichtung und Verantwortung sein. Die Prävention Psychischer Störungen und das Wohlergehen aller Weltbürger sind Ziele, die durch vielseitiges und gemeinsames Engagement erreicht werden können. Der Welttag der seelischen Gesundheit sollte nicht als einmaliger Tag der Bemühungen um Aufklärung, Hilfe und Bewusstseinsbildung gesehen werden, sondern als Basis für eine nachhaltige Haltung verstanden werden. Ob Alt oder Jung, ob Groß oder Klein: seelische Gesundheit geht uns alle an.

ih

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