Donnerstag, 12. September 2024

„Ich wette, ihr habt noch nie solch einer gewaltigen Explosion beigewohnt“

Wer heute Abend eine seltsame Prozession durch die Straßen unserer Landeshauptstadt beobachten wird, soll sich nicht wundern: TRANSART hat begonnen. Statt Heiligen- und Marienstatuen dürfen wir einen Verbrennungsmotor bestaunen, der auf einem Scheiterhaufen zur Hinrichtung gebracht wird. Der Umzug startet um 18 Uhr in der Oasie – auch heuer zentrale Ausgangsstätte für das Festival. Was da so passieren wird, erklärt der Performance-Künstler Kris Verdonck.

Ganz so ruhig wie im Bild wird uns Kris Verdonck heute nicht begegnen.

Von Pierluca Lanzilotta


Eine wortgewandte Scharfrichterin und Henkerin, Schauspielerin Eva Kuen, wird mit Gesten und Worten erklären, warum dieser LKW-Verbrennungsmotor zu seinem Tode geführt wird. Mit wenigen Worten: Weil er sein Versprechen eines endlosen Fortschritts nicht einhalten konnte, sondern die Menschheit – seine Erfinder, d. h. uns – an den Rand der Klimakatastrophe geführt hat. Dabei wird sie sich der Worte Filippo Marinettis aus seinem „Manifesto del Futurismo“ (1908) bedienen. Was? Ein bekennender Faschist als Wegbereiter der Umweltbewegung? Natürlich wird der Sinn seiner Worte, die den Siegeszug der Maschinen und selbstredend auch des Verbrennungsmotors verherrlichten, bewusst um 180 Grad verdreht: Das, was vor gut 100 Jahren noch als Verkörperung des Fortschritts gelten konnte, kann heute aus langjähriger Erfahrung als Fehlschlag abgetan werden.


Eva Kuen - Foto: © Mirja Kofler


Übertriebene Inszenierung und nichts dahinter? Nein. Es wird kolportiert, dass bei den bisherigen Aufführungen dieses höchst unkonventionellen Theaterstücks (Gent 4.5.2024, Wien 22.6.2024) manch Zuschauer zur Verteidigung des armen, zu Unrecht zu Tode verurteilten Motors herbeieilte oder aber die vollstreckende Henkerin redegewandt beschimpfte und meinte, die Anklagepunkte gegen den Motor würden so nicht stimmen. Wiederum andere Zuschauerinnen sollen laut geschrieen haben, diese Performance habe zur Luftverschmutzung beigetragen, und so weiter.

Alles für einen Motor? Laut Kris Verdonck, dem Performer, genießt der Verbrennungsmotor seit seiner Erfindung um die Mitte des 19. Jahrhunderts einen Kultstatus in der westlichen Gesellschaft, der trotz der Fridays-for-Future-Bewegung immer noch weitgehend unangetastet bleibt. Dem Verbrennungsmotor verdanken wir seit bald 200 Jahren unsere – auf dem Papier – uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und wir denken dabei kaum an das Gewaltpotential, das sich in ihm verbirgt – dies will der Künstler in der heutigen Performance zeigen.


Es brennt der Verbrennungsmotor - Foto: © koen broos www.koenbroos.be mail


Kris Verdonck ist Theaterregisseur und bildender Künstler, und sein Stück „Exhaust“ (erschöpfen aber auch Auspuff im Englischen) befindet sich genau an der Schnittstelle seiner 2 Interessengebiete. Die Bildhauerkunst befasst sich mit Gegenständen, und ein voluminöser Gegenstand wie ein LKW-Motor steht ja im Mittelpunkt seiner Performance. Diese wäre aber unvollständig ohne die Worte der Scharfrichterin, die die Prozession mit scharfen Worten begleitet und die Anwesenden anfeuert. Hass gegen das Opfer wird geschnürt, seine Missetaten werden aufgezählt, die sich unter den Begriff Umweltverschmutzung zusammenfassen lassen.


Kris Verdonck am Eingang der Oasie


Diesen seinen Ritus hat Verdonck den mittelalterlichen Sündenbockritualen entnommen, in denen ein ausgesuchtes Mitglied einer Gemeinschaft sich all die Schuld seiner Kollektivität auferlegte und – leider nicht immer metaforisch – dafür hart bestraft wurde. Noch viel früher in der Zivilisationsgeschichte haben Menschen der Gottheit etwas Wichtiges geopfert wie ein Tier oder sogar ein Kind – je wichtiger das Opfer desto größer die Schuld, die es zu tilgen galt. Man verlor etwas oder jemanden, um etwas anderes dafür zu gewinnen: Agamemnon war bereit, seine Tochter Iphigenie zu opfern, um den Trojakrieg zu gewinnen.

Zur Verteidigung seiner Taten haben wir den Dramatiker und Regisseur selbst zu Wort kommen lassen.


Gewalt ruft bekanntlich zu weiterer Gewalt auf: Ist das Ihr erklärtes Ziel?
Kris Verdonck: Als Künstler habe ich überhaupt kein erklärtes Ziel. Ein Kunstwerk darf kein explizites Ziel haben, sonst ist es Propaganda. Bei meinen Performances und Installationen geht es in erster Linie darum, einen bestimmten Zusammenhang zwischen Aspekten der Wirklichkeit herzustellen, der vielleicht so noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Gewalt wird mit Gewalt konfrontiert, damit eine Katharsis, eine kollektive Läuterung stattfinden kann.


Das heißt also, dass Sie bei der Gestaltung von „Exhaust“ keine bestimmte Reaktion des Publikums beabsichtigt und sich keine Wirkung auf das Publikum gewünscht haben?
Verdonck: Ich kann nur feststellen und weitergeben, wie das Publikum bisher auf „Exhaust“ reagiert hat. Manche Zuschauer oder Zuschauerinnen haben gemeint, der da sei nicht ihr eigener Motor – die Schuld liegt bekanntlich nie bei uns, sondern immer bei den anderen, was man in den letzten Jahren wiederholt gesehen hat: Zuerst die Pandemie, nun die Kriege… Verschwörungstheorien bauen ja darauf auf.


Man darf gespannt sein auf seine Performance.



Wie würden Sie denn „Exhaust“ erklären?
Verdonck: „Exhaust“ ist die Hinrichtung eines Verbrennungsmotor, nicht mehr und nicht weniger. Warum er hingerichtet wird, wird von der Scharfrichterin bei der Aufzählung seiner Missetaten ausführlich dargelegt. Das ist ja auch alles. Bitte nicht vergessen: Es wird ein Motor, obwohl mit Fetischstatus, geopfert, kein Tier und gottseidank kein Mensch! In der Vergangenheit war es anders: Die Sündenböcke waren ausgewählte Menschen, die die Schuld einer ganzen Kollektivität auf ihren schultern getragen haben. Ihr Opfer bedeutete die Läuterung (Katharsis) der ganzen Gemeinschaft, die sich auf diese Weise von ihrer Schuld befreien und mit neuen Kräften wieder von vorne anfangen konnte. Das heißt natürlich nicht, dass ich solche Zeiten und Rituale vermisse: Ich stelle nur fest, dass die ganze Menschheitsgeschichte immer wieder mit solchen Auswegmechanismen umzugehen wusste.


Brauchen wir denn eine solche Läuterung? Ist das kein zu traumatisches Vorgehen?
Verdonck: Unsere Zeiten sind ja an und für sich viel traumatischer! Und das Tolle ist, wir erleben das, was wir an unbeschreiblicher Gewalt, Bosheit und Zerstörung am Fernsehen oder in den anderen Medien sehen, immer noch nicht direkt! Ich wette (und hoffe), die meisten Zuschauerinnen oder Zuschauer meiner Performance haben in ihrem ganzen Leben noch nie solch einer gewaltigen Explosion beigewohnt.


Brauchen wir denn wirklich so viel Gewalt, um die Augen vor dem, was uns umgibt, nicht mehr zu verschließen?
Verdonck: Wahrscheinlich ja.

Termin

Am 12. September beginnt TRANSART mit einem Protestmarsch von Kris Verdonck und seinem Verbrennungsofen samt Scharfrichterin Eva Kuen ab 18 Uhr bei der OASIE (Dantestraße 32 Bozen) – 18.10 Uhr, Dominikanerplatz – ca. 19.15 Uhr NOI Techpark – ca. 20 Uhr Finale im Quartier Rombrücke

21 Uhr: SHORTPARIS aus St. Petersburg gelten als der derzeit beste russische Live-Act. Unter der Leitung von Nikolay Komiagin hat sich die Band einen Ruf für rituelle Performances und dunkle, elektronische Klanglandschaften aufgebaut. Es gibt schnelle Beats, gesampelte Störgeräusche, brutale Gitarrensounds und dumpfe Bässe.

stol

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