Sonntag, 12. November 2023

Wert(e)volle Bildung

Seit 150 Jahren hat das Vinzentinum in Brixen einen festen Platz als Ort, an dem Jugendliche eine wertorientierte und ganzheitliche Ausbildung erleben.

Seit 150 Jahren im Dienste junger Menschen: Das Vinzentinum in Brixen. - Foto: © Vinzentinum

Zu diesem Anlass ist eine Festschrift erschienen, die Einblick in Vergangenheit und Gegenwart gibt, Persönlichkeiten wie Josef Lercher vorstellt, die das Haus wesentlich geprägt haben, auf die Bedeutung der Frauen eingeht und die Sammlungen des Vinzentinums als interessante Kleinodien aufzeigt.

Vor allem aber soll sie eines zeigen: Bildung ist nicht nur reine Wissensvermittlung, sondern auch die Vermittlung von Werten. Die Festschrift ist im November in der Zeitschrift „Der Schlern“ erschienen. Ein Gespräch mit Direktor Christoph Stragenegg und mit der Historikerin Erika Kustatscher, die als eines der ersten Mädchen am Vinzentinum maturierte.


Vinzenz Gasser war nicht nur als Pädagoge sehr geschätzt. Was können seine Werte heute den jungen Menschen vermitteln?
Christoph Stragenegg: Von unserem Gründungsbischof können auch junge Menschen von heute viel lernen: Er war vielseitig interessiert, setzte sich mit aktuellen Fragen auseinander und bildete sich ständig weiter, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Er erkannte den Wert von Selbstdisziplin und Fleiß und bemühte sich um eine ausgewogene Lebensweise. Er war bescheiden und setzte sich für Notleidende ein. Es war ihm wichtig, in allen seinen Funktionen in erster Linie durch sein Vorbild zu wirken. Auch auf gute Vorbereitung, überzeugendes Argumentieren und eine klare, verständliche Ausdruckweise legte er großen Wert.

Direktor Christoph Stragenegg - Foto: © cd




Die Schule hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert und modernen Entwicklungen Rechnung getragen. Welchen Stellenwert nimmt sie in der Gesellschaft ein?
Stragenegg: Unser Angebot ist vor allem in der Mittelschule sehr gefragt. Wir spüren ein großes Vertrauen in unsere Arbeit und ein wachsendes Interesse an einer niveauvollen, wertorientierten und ganzheitlichen Bildung. Auch das Klassische Gymnasium wurde durch neue Schwerpunktsetzungen als gediegene Vorbereitung auf universitäre Studien wieder interessant und attraktiv. Das Internat bietet zusätzliche Lern- und Lebenserfahrungen und erleichtert für Eltern die Verbindung von Beruf und Familie. Durch unsere Förderstiftung können auch Kinder aus einkommensschwächeren Familien bei uns leben und lernen.

Foto: © bildarchiv vinzentinum

Mehrtägige Ausflüge bereichern den Unterricht.


1982 maturierten erstmals Mädchen am Vinzentinum. Sie waren eine davon. Wie erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit am Vinzentinum?
Erika Kustatscher: Ich habe die fünf Jahre am Vinzentinum in bester Erinnerung, sowohl die Inhalte als auch die Methoden der Vermittlung. Anders als heute gab es zu meiner Zeit noch einen Kanon des Wissens – der uns auch Demut lehrte. Wir mussten viel arbeiten, aber es ist den Professoren gelungen, die Sinnhaftigkeit ihrer Vorgaben einsichtig zu machen und uns die angestrebten Ziele klar vor Augen zu führen. Bei allen habe ich höchste Korrektheit in jeder Hinsicht erlebt, woraus hohe menschliche Wertschätzung erwuchs. Dies färbte auch auf die Klassengemeinschaft ab.


Wie haben Sie die Schule und den Geist, der darin lebendig ist, erlebt?
Kustatscher: Die Schule bot eine gute Ausbildung, im Sinn von Vermittlung eines breiten Wissens, aber sie ließ auch die Einsicht reifen, dass Bildung viel mehr ist, dass damit Werte verbunden sind. Niemals wurde ein Thema erarbeitet, ohne die darin enthaltenen Problematiken umfassend anzusprechen. Als Ziel des Wissens wurde uns nicht dessen emanzipatorisches Potenzial – und noch weniger der Bezug zur Macht – vermittelt, sondern wir lernten, es als Weg zu Problembewusstsein, Kritikfähigkeit und innerer Freiheit zu verstehen. Natürlich war der christliche Hintergrund der Lehrer evident, aber keiner von ihnen opferte diesem die fachspezifischen Erfordernisse. Die Krise, die die Kirche heute durchlebt, hängt m. E. eng mit dem Niedergang des Bildungssystems zusammen.

Ein Aufsatz von Paul Renner über Vinzenz Gasser und seine Bedeutung für das Vinzentinum eröffnet die Festschrift. Im Jahr 1878 predigte Vinzenz Gasser über die Funktion eines Seminars als „Pflanzschule“, wo „junge Sprösslinge in ihrem Wachstum begleitet werden sollten, geschützt von den negativen Einflüssen der Welt und nach den Werten des Evangeliums gerichtet“. Gilt das auch heute noch?
Stragenegg: Junge Menschen in ihrem Wachsen zu begleiten und ihnen durch vielfältige Angebote zu helfen, die in ihnen schlummernden Talente zu entdecken und zu entfalten, beschreibt immer noch sehr gut unsere Aufgabe. Dafür braucht es den Kontakt zur Welt, aber auch geschützte Räume, wo angstfreies Erproben möglich wird. Die großen Zusagen des Evangeliums geben in einer Zeit wachsender Verunsicherung Orientierung und Halt. Damit es gelingt, diesen zu vertrauen, brauchen junge Menschen einfühlsame Gärtnerinnen und Gärtner, die an sie glauben und ihnen christliche Grundhaltungen überzeugt vorleben.

Erika Kustatscher - Foto: © ler




In Ihrem Aufsatz gehen Sie auf die Persönlichkeiten ein, die das Vinzentinum wesentlich prägten. Wen würden Sie besonders hervorheben?
Kustatscher: Die Wahl der eingehend gewürdigten Personen erfolgte nach einem klaren Kriterium; dass einige meine Lehrer waren und andere nicht, erschwerte die Aufgabe. Wenn ich trotzdem einen Namen nenne, bleibt meine Hochachtung für alle anderen ungeschmälert: Josef Lercher, Professor für Latein und Griechisch, ließ über die grammatikalische Analyse in mir so etwas wie eine Ahnung vom Bau der Welt insgesamt entstehen. Hinzu kommt der hohe ethische Anspruch, der sein Handeln leitete und Vorbild wurde.

Josef Lercher war 46 Jahre am Vinzentinum tätig. - Foto: © bildarchiv vinzentinum



Heute sind Mädchen ein fixer Bestandteil des Schullebens. Die Entwicklung und die Rolle der Schwestern beschreibt die Tertiarschwester Anna Elisabeth Rifeser in ihrem Aufsatz. Wo legt sie die Schwerpunkte?
Kustatscher: Mit den Barmherzigen Schwestern nahm Sr. Anna Elisabeth eine Gruppe in den Blick, die im Verborgenen wirkte, ohne deren selbstlosen Einsatz aber das Konzept insgesamt nicht umsetzbar gewesen wäre: Die Hauswirtschaft, die Krankenpflege (besonders während der Weltkriege, als das Vinzentinum Lazarett war), überhaupt alles, was es außer Schule und Erziehung zum Leben noch braucht. Dass die Integration in die Hausgemeinschaft eine sehr junge Entwicklung ist, wird kritisch angesprochen.

Die Münzsammlung des Vinzentinums birgt wertvolle Exemplare. - Foto: © bildarchiv vinzentinum




Das Vinzentinum ist ein Ort, der Wissen sammelt, um es gezielt weiterzugeben: So findet sich dort eine bedeutende Münzsammlung. Das Herbarium, das heute im Naturmuseum in Bozen aufgearbeitet wird, hat seinen Ursprung im Vinzentinum. Beide werden in der Jubiläumsausgabe vorgestellt. Wie wichtig sind diese Sammlungen in der heutigen Zeit?
Stragenegg: Beide Sammlungen haben einen großen historischen und wissenschaftlichen Wert. Deshalb sind wir dankbar, dass sie nun erfasst und inventarisiert und so für die Forschung zugänglich sind. Für uns versinnbilden sie die zwei Lungenflügel unserer gymnasialen Ausbildung: Wir versuchen junge Menschen mit dem Schatz der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte vertraut zu machen und ihnen zugleich eine gute Grundlage für naturwissenschaftliche Studien zu vermitteln. Diese Vernetzung unterschiedlicher Fachbereiche war seit jeher ein wichtiges Ziel unserer Bildung.

Foto: © der Schlern


„Der Schlern“, Heft 11, 2023 104 Seiten – Bestellen: www.athesiabuch.it





bea

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