Freitag, 24. November 2023

Großer Napoleon-Komplex

Blick ins Kino: Männer mit Napoleon-Komplex kompensieren ihre kleine Körpergröße durch Machtstreben, heißt es. Das zeigt sich durchaus auch in der Politik immer wieder. Von Marian Wilhelm

Kleiner Korse ganz groß: Joaquin Phoenix spielt Napoleon Bonaparte, Kaiser, General, Eroberer und vielleicht der größte Franzose aller Zeiten. - Foto: © wikipedia Commons

Der Namensgeber war jedoch gar nicht so klein. 1,67 bis 1,69 war für seine Zeit im Durchschnitt.


Marian Wilhelm - Foto: © privat



Der Mythos vom kleinen Napoleon stammt aus den bissigen britischen Karikaturen, die den selbst gekrönten französischen Kaiser provozierten. Die unzensierte Presse schreibt also Geschichte. Der Mythos vom kleinwüchsigen Napoleon ist heute Allgemeingut, die Wahrheit der Historiker ist dabei sekundär.


Das gilt auch für das neue Kinoepos des 172cm großen Ridley Scott, wie er in einigen Interviews klar machte. Darin wird der kleine Kaiser ganz groß. Nicht körperlich – Hauptdarsteller Joaquin Phoenix misst ebenfalls passende 1,72cm – sondern im Leinwand-Breitformat. Das bietet vor allem für die riesigen Schlachtszenen Platz, schön ordentlich alphabetisch und chronologisch von Austerlitz bis Waterloo. Die Geschichte über den vielleicht größten Franzosen, jedenfalls den größten Korsen, der Geschichte mit seiner ambivalenten Bilanz beginnt jedoch mit einer Frau.


Napoleon in Ägypten



Marie Antoinette wird geköpft und der Offizier Napoleon blickt recht indifferent in ihre toten Augen. Der Terror einer gerade erst aus der Asche einer gestürzten Monarchie geborenen Republik macht den Weg erneut frei für einen starken Mann. Viva la France! und Long live the Republic! Denn ja, der Brite (mit Wohnsitz in Frankreich) Scott leistet sich den Affront, die Geschichte Frankreichs komplett auf englisch zu erzählen. Übertrieben viel wird aber ohnehin nicht schwadroniert. Scott ist ein Action-Regisseur, der auf beeindruckende Bilder aus ist – und damit sind nicht nur Kampf-Massenszenen gemeint. Etwa beim Ägypten-Feldzug, wenn Napoleon, auf einem Stockerl stehend, einer Pharaonen-Mumie und damit tausenden Jahren Geschichte in die Augen schaut.


Vanessa Kirby als Madame Josephine Bonaparte



Doch der 85-jährige „Alien“-Schöpfer Ridley Scott ist nicht erst seit seinem letzten, raffinierten Historien-Epos „The Last Duel“ an starken Frauenfiguren interessiert. Als einzige relevante Frau dieser Geschichte ist Madame Josephine Bonaparte daher mit Vanessa Kirby prominent besetzt und gut ausgestaltet. Auch wenn ihrer Rolle als Ehefrau historische Grenzen gesetzt sind, ohne den Film zum „Napoleon & Josephine“-Doppel-Biopic zu machen: Der Kaiser wird auch durch seine seltsame, fast schon sadomasochistische Liebesbeziehung zu Josephine definiert. Was den weltpolitischen Ehrgeizling sonst antreibt, lässt Ridley Scotts Geschichte im Unklaren. Und auch wenn nicht wie bei seinem fiktiven „Gladiator“ Maximus die Tränen fließen; große entsättigte Kinobilder bei Kerzenschein und Eisnebel findet der Altmeister allemal.


Termin:
„Napoleon“ ist ab dieser Woche im Kino zu sehen.
Am 28.11. und 29.11 auch in englischer Originalfassung mit italienischen Untertiteln, im UCI und in den Cineplexx Kinos Bozen.




eva

Kommentare
Kommentar verfassen
Bitte melden Sie sich an um einen Kommentar zu schreiben
senden