Samstag, 3. Februar 2024

Blick ins Kino: POOR THINGS – Povere Creature! von Yorgos Lanthimos

Kein armes Hascherl! Bella Baxter ist die spannendste Filmfigur der letzten Jahre. Die Heldin aus Yorgos Lanthimos’ Fantasy-Arthouse-Film „Poor Things“ ist ebenso seltsam wie modern. Vordergründig eine Variante von Frankensteins Monster, steht sie symbolisch für eine Selbstermächtigung, die gerade für eine weibliche Figur noch immer keine Selbstverständlichkeit ist.

Regisseur Yorgos Lanthimos, US-Schauspielerin Emma Stone, Willem Dafoe, Mark Ruffalo and Ramy Youssef bei den Golden Globes Anfang Januar. - Foto: © ANSA / ALLISON DINNER

Ihr Dr. Frankenstein heißt passenderweise Godwin (kurz „God“), gespielt vom gewohnt nett-bedrohlichen Willem Dafoe. Er pflanzt dem Körper einer nicht ganz unfreiwillig Ertrunkenen das Gehirn ihres ungeborenen Babys ein. Durch diese ethisch fragwürdige Lebensrettung in die Welt geworfen, muss das Kind im Erwachsenen-Körper erstmal lernen, darin zurechtzukommen.

Lanthimos ist der erfolgreichste Vertreter der sogenannten Weird Greek Wave. Nach dem Oscar-Erfolg „The Favourite“ hat er in seinem neuesten englischsprachigen Film erneut aus dem Vollen geschöpft. Als bunte Verfilmung des Romans von Alasdair Gray ist „Poor Things“ zugleich bekömmlicher und unterhaltsamer und doch genauso seltsam wie seine bisherigen oft recht spröden Filme.

Das liegt unter anderem auch an der für einen amerikanischen Film – noch dazu im Verleih des Disney-Konzerns – doch recht wilden Sexualität von Bella Baxter. Auch im Kopf schnell erwachsen geworden, nimmt sie sich von den Männern, was sie will. Den schmierigen Anwalt Duncan Wedderburn (herrlich: Mark Ruffalo) serviert sie, bald nachdem er sie aus dem Haus ihres Schöpfers auf eine Weltreise entführt hat, ab.

Auf ihrer Reise trifft sie diverse Gestalten, die ihr neue Horizonte eröffnen, gespielt u.a. von Hanna Schygulla. Sie arbeitet als Sex Workerin in einem Pariser Bordell, entwickelt eine sex-positive Einstellung zu den Freuden ihres Körpers und verzweifelt an der kapitalistischen Ungerechtigkeit der historisch irgendwo im 19. Jahrhundert angesiedelten Steampunk-Welt. Und Hauptdarstellerin Emma Stone hat sich mit dieser furchtlosen Interpretation endgültig von den Zuschreibungen als das nette rothaarige Mädchen von Nebenan mit den großen Augen befreit.

Rund um seine Weltpremiere beim Filmfestival von Venedig überzeugte „Poor Things“ von Anfang an die Kritik und am Ende auch die Jury, die Bella Baxter zur Goldenen Löwin machten. Dieser so gar nicht klassische Hollywood-Film ist gewissermaßen die wild-düstere Seite der pinkfarbenen feministischen „Barbie“-Erfolgswelle. Von einem Mann inszeniert, atmet der Film dennoch den Geist einer weiblichen Selbstermächtigung, die eine unterhaltsame Frische in die Blockbuster-Kinos bringt. Bella Baxter ist frei.

Zur Person:

Emma Stone stammt aus Scottsdale, Arizona, im mittleren Westen der USA, wie so viele, die es an der Küste der Filmwelt zu etwas bringen wollen. Genau die Rolle einer aufstrebenden Jung-Schauspielerin verhalf ihr im Jahr 2016 im Hollywood-Musical „Lalaland“ auch zum endgültigen Durchbruch und einem Academy Award. Das gab der Oscar- Preisträgerin dann die Freiheit für Projekte mit dem griechischen Export-Darling Yorgos Lanthimos. Bei „Poor Things“ hat sie dann schon mitproduziert und auch in seinem nächsten, noch geheimen Projekt „Kinds of Kindness“ wird sie wieder mit dabei sein. Als „Cruella“ hat sie der Disney- Animations-Antiheldin Leben eingehaucht und in „Battle of the Sexes“ die Tennisspielerin Billie Jean King verkörpert.

Dabei wurde sie, wie sie offen erzählt, lange von Panikattacken und Asthma geplagt. Privat ist sie mit dem „Saturday Night Life“-Kreativkopf Dave McCary liiert, mit dem sie 2021 auch ein Kind in die Welt setzte – auf normalere Weise als ihre wilde Filmfigur Bella Baxter.





„Poor Things – Povere Creature!“ in den Kinos. Am Montag um 20.30 im Filmclub auch in englischer Originalfassung mit UT.

stol

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